Interpretationsforschung

Die Interpretationsforschung bildet einen Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit am Institut für Musikforschung. Ausgangspunkt ist dabei das Klangereignis der Aufführung, das als primäre Erscheinungsform komponierter Musik verstanden wird. Gegenstand der Forschungen am SIM ist also nicht die Werkgestalt der Partitur, sondern die klangliche Realität ihrer Umsetzung. Die Aufführung von Musik wird verstanden als ein multiples Phänomen. Es ist mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aspekte verknüpft, die auf jeweils unterschiedliche Weise: historisch, dokumentarisch und systematisch zu behandeln sind; aufgerufen ist eine Vielzahl von Forschungsfeldern und -fragen.

Auf einer hölzernen Bühne: Mann an einem Flügel aus braun glänzendem Holz und Mann daneben stehend und redend.
Heinz von Loesch im Dialog mit dem Pianisten Hardy Rittner an einem historischen Pleyel-Flügel. Foto: Jörg Joachim Riehle

Der historische Zugang erfolgt sowohl objekt- als auch quellenbasiert. Die objektbasierte Forschung steht naturgemäß im Mittelpunkt der Arbeit des Musikinstrumenten-Museums, wobei der instrumentenkundliche Fokus durch interdisziplinäre Verknüpfungen kulturhistorisch geweitet wird. Aber auch im Bereich der Diskologie ist es zuvorderst der Blick auf das Objekt des Tonträgers, der mit historisch-quellenkritischen Methoden als Zeuge für das Musikereignis befragt und erschlossen wird. Schließlich wird auf dem Feld der quellenbasierten Forschung zur Musik der Wiener Schule sowohl editorische als auch aufführungshistorische Arbeit geleistet.

Das Publikationsprojekt Geschichte der musikalischen Interpretation der Musik im 19. und 20. Jahrhundert schildert seinen Gegenstand aus unterschiedlichster Perspektive: als Ideengeschichte, als Darstellung von Institutionen und Medien, in systematischer Untersuchung einschlägiger Parameter und schließlich in Aufarbeitung historischer Konzepte und Individualitäten musikalischer Interpretation.

Das Interpret*innen-Fenster des SIM stellt in zwangloser Folge in Vergessenheit geratene Persönlichkeiten aus der Geschichte der musikalischen Interpretation vor, vornehmlich anhand von Beständen aus der Bibliothek des Instituts.

Systematischer Zugang

Systematisch betrachtet sind nicht nur die künstlerische Darbietung im engeren Sinne, sondern auch Entscheidungen zu Aufführungsräumen und Aufstel­lungen, zu Tonregie, Tonmontage und Klangbalance im Falle der Übertragung von Musik, und sogar Entscheidungen des Hörers über Wiedergabeanordnungen und ‑situationen als Akte der Interpretation zu verstehen. Danach kann man zwischen aufführungsseitiger (primärer), übertragungsseitiger (sekundärer) und rezeptionsseitiger (tertiärer) Interpretation unterscheiden. Für die Forschung am SIM sind die Wirkungen aller dieser Einflussgrößen von Interesse. Da die für systematische Musikforschung zuständige Abteilung III auch mit Akustik, Tonstudiotechnik und Produktionspraxis befasst ist, liegt ein Schwerpunkt auf der sekundären Interpretation nahe. Für die Untersuchung der Forschungsfragen werden empirische Erhebungs- und Analysemethoden der Psychologie und der Sozialwissenschaften mit akustischen und elektroakustischen Möglichkeiten der Testreizerzeugung kombiniert.