Tagungsbericht
"Kosmopolitisch, international, global"

Was die Teilung Deutschlands für Institutionen, Kulturschaffende und Akteurinnen des Berliner Musiklebens bedeutete, war Gegenstand einer Tagung, die unter Beteiligung von Ethnologischem Museum und SIM vom 3. bis 5. Juli im Berliner Humboldt Forum stattfand.

Roundtable bei der Tagung "Kosmopolitisch, international, global". Foto: Rebecca Wolf

Musik, Archive und Politik in Ost- und West-Berlin seit 1963

Vor 75 Jahren wurde die deutsche Teilung durch die Gründung zweier Staaten manifestiert und zwölf Jahre später, 1961, konnte die Teilung durch den Berliner Mauerbau kaum deutlicher gemacht werden. Was bedeutete das aber für die Institutionen und Akteurinnen des Berliner Musiklebens, sowohl Musikerinnen als auch Musikforscherinnen sowie Instrumentenbauerinnen und Kulturschaffende? Wie haben Musikarchive gearbeitet, wie wurde miteinander kommuniziert, gab es gar Kooperationen nach dem Mauerbau und wie hat sich die institutionelle Landschaft nach 1989 verändert? Mit diesen Fragen befasste sich die internationale Fachcommunity von Musikwissenschaftlerinnen und Musikethnologinnen im Rahmen der Konferenz Kosmopolitisch, international, global: Musik, Archive und Politik in Ost- und West-Berlin seit 1963, die vom 3. bis 5. Juli im Berliner Humboldt Forum stattfand. Das Jahr 1963 markiert die Entstehung des International Institute for Traditional Music (IITM), das durch den französischen Musikforscher Alain Daniélou in West-Berlin gegründet wurde. Wenige Jahre später etablierte Daniélou eine ähnliche Institution in Venedig.

Da das Thema für das Verständnis der institutionellen und kulturpolitischen Wandlungsprozesse im Kulturraum Berlin während des Kalten Krieges von großer Bedeutung ist, bündelten die Berliner musikwissenschaftlichen und musikethnologischen Netzwerk ihre Kräfte. Außer dem italienischen Partner – Fondazione Giorgio Cini, Venedig – haben für die Tagungsorganisation fünf Berliner Institutionen, darunter zwei Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zusammengearbeitet: Ethnologisches Museum, Lautarchiv, Staatliches Institut für Musikforschung (SIM) sowie musikwissenschaftliche Institute der Humboldt-Universität und der Universität der Künste. Neben Vorträgen prägten Zeitzeugengespräche ebenso wie praxis- und sammlungsbezogene Workshops und ein Konzert die Konferenz.

Feinstimmer "Made in GDR". Foto: SIMPK/Barnes Ziegler

Eine weiterführende Brücke zwischen Ost und West in breiterem, globalem Sinne legte der Workshop „Instrumentenbau in Ost und West: Olga Adelmann und Curt Jung mit einem resonierenden Ausflug nach Indien“. Den Workshop veranstaltete das SIM in Kooperation mit dem Ethnologischen Museum. Zu Gast war der indische Instrumentenbauer Radhey Shyam Sharma. Gemeinsam untersuchten die Workshopteilnehmerinnen zwei Instrumente der Sammlung des Musikinstrumenten-Museums des SIM – Instrumente aus Ost- und West-Berlin: eine Diskantgeige von Olga Adelmann und eine Viola d’amore von Curt Jung (mehr zum Wissenstransfer und zur persönlichen Geschichte zwischen den beiden Kolleginnen zur Zeit der Teilung siehe hier). Es folgte eine Diskussion zu den konstruktionstechnischen Themen und die Präsenz des indischen Gastes regte organologische Vergleiche zwischen indischer und klassisch-europäischer Kunst des Saiteninstrumentenbaus an. Auch die unterschiedlichen Herangehensweisen des Sammelns und Restaurierens von Musikinstrumenten in Indien und Europa wurden thematisiert.

Eine Frage, die sich zu der Viola d’amore stellte, war die nach der Verfügbarkeit von Materialien und Zubehör für Musikinstrumente in der DDR. Beim Instrument von 1962 wurden z. B. Feinstimmer verbaut – es ist nicht klar, ob diese original oder erst später hinzugekommen sind. Die Feinstimmer tragen die Inschrift „Made in GDR“. Ein Hinweis, dass diese vermutlich in der DDR mit der Intention zum Export hergestellt wurden. Offen bleiben jedoch die Fragen, ob und wie groß der Export war und wie man in der DDR z. B. an nicht-europäische Holzarten wie Ebenholz, Palisander und Mahagoni kam. Es ist möglich, dass die Firmen in Markneukirchen weiterhin auf Altbestände zurückgreifen konnten, aber auch ein Import z. B. aus den „sozialistischen Bruderstaaten“ oder den „blockfreien Staaten“ wäre denkbar. Klar wurde das reiche Potenzial dieses Themas, das Handelswege, Industrie und Handwerk, Klangideale, persönliche, biografische Aspekte und Quellenfunde in musikwissenschaftlichen Sammlungen verbindet.

Ein unerwartetes Ergebnis des Workshops war die Demonstration von Radhey Shyam Sharma zur Herstellung von Rohlam am Ethnologischen Museum im Humboldt Forum. Somit konnte auch der Austausch zwischen Ost und West, und genauer gesehen, zwischen Asien und Europa auf einer gegenwärtigen instrumentenkundlichen Ebene geschehen.

Herstellung von Rohlam

Während tierischer Glutin-Leim sowohl im indischen als auch europäischen Instrumentenbau Verwendung findet, nutzen indische Instrumentenbauer*innen auch Rohlam, einen auf Weizengluten basierenden Leim. Dieser ist in Europa kaum bekannt.

Zur Herstellung wird ein Teig aus Weizenmehl bzw. Hartweizengries (höherer Proteingehalt) und Wasser hergestellt. Nach einer Ruhezeit von ca. einer Stunde wird die Stärke mit Wasser und unter andauerndem Kneten herausgewaschen (ca. sechs Waschgänge). Anschließend wird eine etwa Tischtennisball große Menge des Glutens mit Kupfer-II-sulfat (ca. eine Messerspitze) vermengt, was der Masse eine hellblaue Farbe verleiht. Als letzte Zutat wird Löschkalk in kleinen Mengen hinzugegeben. Die basische Umgebung führt zu einer Hydrolyse des Proteins, weshalb die Masse ihre Konsistenz verändert und zu einer streichbaren Paste wird. Ebenso ist eine Farbveränderung von Blau zu Violett zu beobachten. Diese Reaktion ist auf die freien Kupferionen zurückzuführen, welche Komplexe mit den Proteinketten bilden. Dieses Phänomen wird in der Biuret-Reaktion zum Nachweis von Proteinen genutzt.

Diese Masse kann nun mit den Fingern auf die zu verleimenden Holzteile aufgebracht werden. Die Teile werden im indischen Instrumentenbau normalerweise mit Schnüren zusammengehalten. Der Leim benötigt ca. 24 Stunden für die vollständige Trocknung.

Fotos: SIMPK/Barnes Ziegler

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