Olga Adelmann:
Geigenbauerin, Restauratorin, Forscherin

Oder wie internationale Zusammenarbeit zur Wiederentdeckung vergessener Meisterwerke führte

von Barnes Ziegler

In meinem Besitz befindet sich eine alte Postkarte aus dem Jahr 1938. Die Vorderseite zeigt ein Panorama über die Dächer von Cremona auf die weiße Marmorfassade des Doms und seinen ikonischen Torrazzo. Sie ist gerichtet an den „Herrn Geigenbaumeister Curt Jung“ in der Ranke Straße in Berlin und gezeichnet mit „… herzliche Grüße an alle von Olli“.

Die Karte ist ein kleines Stück Geigenbaugeschichte. In dem kurzen Text erzählt Olga Adelmann, die erste Geigenbaumeisterin und spätere Restauratorin am heutigen Musikinstrumenten-Museum, vom Entstehen der Geigenbauschule in Cremona, dem heutigen Istituto A. Stradivari, und erwähnt beiläufig Simone Sacconi, der später das Standardwerk des heutigen Geigenbaus verfassen wird.

Ich möchte in diesem Artikel das Leben von „Olli“ Adelmann nachzeichnen und zeigen, wie ihre Zusammenarbeit mit verschiedenen Geigenbauern weltweit zur Erforschung einer bis dahin unbekannten und unterschätzten Geigenbauschule führte.

Vorderseite der Postkarte an Curt Jung (1938) mit dem Blick auf den Dom und den Torrazzo von Cremona, Privatbesitz
Vorderseite der Postkarte an Curt Jung (1938) mit dem Blick auf den Dom und den Torrazzo von Cremona, Privatbesitz
Postkarte von Olga Adelmann an Curt Jung
Rückseite der Postkarte, adressiert an Curt Jung in der Rankestrasse 32, Berlin, Privatbesitz

Olga Adelmann wurde am zweiten Oktober 1913 in Berlin geboren. „Zum Beruf bin ich durch Zufall gekommen“, berichtete Sie in einem Artikel der Berliner Illustrierten vom 20. Januar 1938.  Kurz vor ihrem Abitur ging sie in die Werkstatt des Geigenbaumeisters Otto Möckel um sich ihr erstes eigenes Cello zu kaufen. Hier sah sie dem Meister bei der Arbeit zu. „Das war mir alles so neu und interessant, daß ich kurzentschlossen den Plan faßte, auch Geigenbauerin zu werden.“ (Schumann 1938)

Wie sie weiter berichtet, lachte Möckel sie zunächst aus und versuchte ihr ihre Pläne auszureden. Dabei führte er nicht nur die alles andere als rosigen Aussichten im Geigenbauhandwerk an, sondern sprach ihr schlicht die notwendige Kraft und Geschicklichkeit ab. „Aber ich blieb hart, so daß er sich schließlich dazu bereit erklären mußte, es probeweise mit mir zu versuchen. Ja, und dann hat er gestaunt.“ (eben da)

Immerhin scheint Möckel seinen Irrtum eingesehen zu haben und gab ihr die Möglichkeit, 1937 als erste Frau in Deutschland die Gesellenprüfung im Geigenbau abzulegen.

Olga Adelmann, Otto Möckel und Curt Jung in der Werkstatt in der Rankestraße, Berlin
Otto Möckel, Olga "Olli" Adelmann und Curt Jung (v.l.n.r.) in Möckels Werkstatt. Quelle: Bildarchiv SIMPK

Otto Möckel stammte aus einer Geigenbauerfamilie – sein Vater und sein Bruder waren ebenfalls Geigenbauer – und eröffnete seine Werkstatt 1908 in Dresden. Nach dem Tod des Vaters zog er im Jahr 1912 nach Berlin. Heute ist er vor allem durch sein Lehrbuch Die Kunst des Geigenbaus von 1930 bekannt. Darin beschreibt er nicht nur den Bau der Geige, sondern gibt auch Anleitungen zu deren Reparatur sowie der des Bogens. Drei Aspekte des Werks sind besonders wichtig, da sie vermutlich großen Einfluss auf Adelmanns Arbeit hatten.

Das erste sind die Genauigkeit und Präzision, die Möckel bei jedem Schritt verlangt. Seine eigens entwickelte Methode zum Schnitzen der Wölbung von Decke und Boden erlaubt es, historische Vorbilder aufs genaueste zu kopieren. In den historischen Instrumenten sah er wichtige Vorbilder für den zeitgenössischen Geigenbau und erstellte aus diesem Grund ein ausführliches Archiv mit Messdaten, Handzeichnungen und Fotografien bedeutender Instrumente, das leider während des Zweiten Weltkriegs verloren ging. Wegen der Bedeutung der historischen Instrumente als Quellen, sollten Reparaturen zudem möglichst wenig in die originale Substanz der Objekte eingreifen. Möckels Auffassung ist zwar noch nicht mit unserem modernen Konservierungsbegriff vergleichbar, aber sie zeigt, dass Geigen für ihn mehr waren als reine Gebrauchsgegenstände (Möckel 1967).

In dieser Umgebung lernte Adelmann also ihr Handwerk. In dem Jahr, in dem sie Ihre Gesellenprüfung abschloss, starb Möckel. Und hier wird die Quellenlage etwas unklar. Die Werkstatt wurde von Möckels Schüler und späterem Mitarbeiter Curt Jung weitergeführt und Olga Adelmann ging laut der Angaben bei fembio.org auf Wanderschaft (Otterstedt (Datum unbekannt)). In dem bereits zitierten Artikel der Berliner Illustrierten ist

zunächst aber nur die Rede von einer sechswöchigen Reise nach Cremona zu einer Ausstellung anlässlich des 200. Todestags Stradivaris, bei der sie auch andere Städte in Italien besuchte, und weiteren zwei Wochen mit Aufenthalten in deutsche Geigenbaustädten. „…viele Städte hat Olli in Italien besucht. Und auch jetzt wieder möchte sie auf und davon, möchte in anderen Werkstätten arbeiten, möchte andere Arbeitsmethoden kennenlernen. ‚Vielleicht wird‘s in einem Jahr‛, sagt sie, ‚einmal aber ganz bestimmt.‘“ Es bleibt unklar, wie genau ihre „Wanderschaft“ ausgesehen hat. War sie weiter bei Jung angestellt und suchte von dort aus eine neue Position oder war sie die gesamte Zeit unterwegs und auf der Suche nach neuen Erfahrungen? Klar ist jedenfalls, dass sie schließlich ihre Arbeit in der jetzt Jung‘schen Werkstatt wiederaufnahm und dort 1940 ihren Meister machte. Dies war notwendig, da Jung bereits 1940 zu den Waffen gerufen wurde und Adelmann während seiner Abwesenheit  die Werkstattleitung übernehmen musste. In der paternalistischen und kriegspropagandistischen Art der Zit titelte die Berliner Illustrierte in einem weitern Artikel: „Junge Berlinerin wurde Geigenbau=Meisterin. Tüchtiges Mädchen führt die Werkstatt, während der Besitzer im Felde ist“. (M.M. 1940)

Wie auch immer ihre Gesellinnenzeit augesehen haben mag, sie hatte damals vor allem eine wichtige Bekanntschaft gemacht. Es handelte sich um Simone Francesco Sacconi, einen der bekanntesten Geigenbauer, Restauratoren und Stradivari­experten seiner Zeit. Laut dem Vorwort zu der von ihr ins Deutsche übersetzten Ausgabe von Sacconis I ‚segreti‘ di Stradivari, „durfte [sie in Cremona] die bekanntesten Geigenbauer aus aller Welt in zwanglosen Gesprächen beim Wein erleben.“ Unter ihnen Sacconi, welcher „immer bereit [war], sich fragen zu lassen und ebenso sachlich wie freundlich zu antworten“. „Dieses Zusammentreffen blieb mir bedeutsam, auch während all der folgenden Jahre, in denen das kulturelle Deutschland isoliert und Sacconi fern in den USA war.“ (Sacconi 1976, S. 19)

Neben der Isolation des „kulturelle[n] Deutschland[s]“ (Sacconi 1976) waren es vermutlich auch die zusätzlichen Aufgaben ihrer neuen Rolle, die zu einem Ausbleiben weiterer Treffen führte.

Jung kehrte, laut der Erinnerung seines Sohnes, bereits nach einem Jahr wieder in die Werkstatt zurück. Die Jung‘sche Werkstatt existierte weiter und zog 1961 nach Ostberlin um, jedoch arbeitete Adelmann zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr dort. Wie der weitere Lebenslauf von Olga Adelmann nach Jungs rükkehr aussah, ässt ich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Anette Otterstedt erwähnt, dass sie in den Kriegsjahren bei Georg Ullmann arbeitete, jedoch zitiert sie als Beleg den Artikel der Berliner Illustrierten, welcher klar aussagt, dass Adelmann in der Jung'schen Werkstatt arbeitet. (Otterstedt, o.J.) Anscheined versuchte sie sich 1945 selbständig zu machen, verlor aber ihre Werkzeuge bei einem Bombeangriff. Es folgte eine Zeit mit verschieden Anstellungen (unter anderem bei einem Gitarrenbauer) und einem weiteren Versuch sich selbstständig zu machen (D.M. 1957).

1956 geschieht das, was sie in der Einführung zu ihrem Buch Die Alemannische Schule. Geigenbau des 17. Jahrhunderts im südlichen Schwarzwald und in der Schweiz als die „glücklichste Wendung in meinem Leben“ bezeichnet: Die Anstellung als Restauratorin am Musikinstrumenten-Museum Berlin, zunächst als freie Mitarbeiterin und ab 1960 in fester Anstellung. In dieser Zeit vollbrachte sie zwei ihrer bekanntesten Werke, mit denen sie den Grundstein für die wissenschaftlich forschende Restaurierung im Bereich der Musikinstrumente legte.

1957 und 1960 erwarb die Sammlung zwei Instrumente „von eigentümlich archaischem Aussehen“. Adelmann war von diesen Objekten mit der ungewöhnlichen Formensprache und den aufwendigen Verzierungen fasziniert. Sie begann die Instrumente zu erforschen, zu dokumentieren und nach Vergleichsobjekten zu suchen. Ihre Nachforschungen führten sie zu verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen in ganz Europa, vor allem aber der Schweiz. Stück für Stück – beziehungsweise Instrument für Instrument – und im steten Austausch mit Geigenbauer:innen weltweit, erarbeitete sie die Geschichte und Herkunft der Instrumente und ihrer Erbauer. Ihre Erkenntnisse fasste sie zunächst in der Veröffentlichung Unsignierte Instrumente des Schweizer Geigenbauers Hans Krouchdaler. Zu einer vergessenen Geigenbauschule des 17. Jahrhunderts, im Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung 1969 zusammen. Adelmann hatte die Hoffnung, dass die Veröffentlichung zu weiteren Instrumenten und Spuren dieser Schule führen würde und sie wurde nicht enttäuscht (Adelmann 1997).

1969 unternahm Adelmann eine Reise in die USA mit Hauptziel New York. Hier arbeitete Simone Sacconi, mit dem sie in der Nachkriegszeit einen sporadischen Briefwechsel führte. Sie nutzte die Gelegenheit den Kontakt zu erneuern. Laut ihrem späteren Vorwort zur deutschen Ausgabe von Sacconis‘ Buch besuchte sie ihn mehrmals in der Werkstatt der Firma Wurlitzer, wo er ihr Einblicke in seine neuen Arbeitsmethoden gab und von dem Buch erzählte, an dem er arbeitete und das drei Jahre später erscheinen sollte.

Diskant-Geige von Joseph Meyer, drittes Viertel des 17. Jh.
Diskant-Geige von Joseph Meyer, drittes Viertel des 17. Jh., Kat.-Nr. 4519, SIMPK / Foto: Jürgen Liepe

Anders als Möckel beschreibt Sacconi keine neuerfundene Methode zum Nachahmen historischer Instrumente, sondern versucht – ausgehend von den erhaltenen und von ihm im Buch katalogisierten Schablonen, Zeichnungen und Werkzeugen Stradivaris – die historische Bautechnik der klassischen Cremonenser Geigenbauer zu erforschen. Quasi der „So bauen auch Sie wie Stradivari“-Ratgeber.

Im Herbst 1973 machte Adelmann sich an die Lektüre von Sacconis Buch. Nach ihrer eigenen Aussage war ihr Italienisch „den kompliziert-genauen Schilderungen feinster Einzelheiten nicht immer gewachsen“. Sie begann schließlich, zunächst für sich selbst, das Buch Satz für Satz zu übersetzten. Das brachte sie zu dem Entschluss sich an die deutsche Ausgabe es Buchs zu wagen. Auch hier waren ihr ihre zahlreichen Kontakte von großer Hilfe. Besonders wichtig war für sie die Unterstützung von Prof. Vinicio Gai, den sie „aus der Zeit als [sie] in Florenz nach der großen Überschwemmung vom 4. November 1966 flutgeschädigte Instrumente restaurierte“ kannte (Sacconi 1976). Auch über diesen Abschnitt ihres Lebens findet sich wenig in den bisher gesichteten Quellen – ein interessantes Thema für weitere Nachforschungen.

Erst kürzlich förderte die Umgestaltung eines Büros am Staatlichen Institut für Musikfoschung eine Mappe voller Briefe zu Tage. Es handelt sich um einen Teil des Briefwechsels zwischen Olga Adelmann, Simone F. Sacconi und nach seinem Tod zwischen Adelmann und Sacconis Frau Teresita. Besonders interessant ist ein Brief eines amerikanischen Anwalts, der den Nachlass Sacconis, nach dessen Tod 1973, verwaltete. Dieser fordert Adelmann auf die Übersetzung des Buches sofort zu unterlassen, da die Urheberrechte und somit die Lizensierung und Beauftragung von Übersetzungen allein den Erben vorbehalten sei.

Wie der Streit aufgelöst wurde, ist nich bekannt.1976 erschien Adelmanns Übersetzung des Buches Die „Geheimnisse“ Stradivaris, mit einem Vorwort der Übersetzerin. Die englische Übersetzung erschien erst drei Jahre später im Jahr 1979.

Die Bedeutung von Sacconis Buch kann nicht überschätzt werden. Heute kennen es fast alle Geigenbauer*innen. Es war aber die Arbeit der Übersetzer*innen, die den Erfolg erst möglich gemacht haben.

Olga Adelmann beim Restaurieren der großen Bassgeige von Hans Krouchdaler
Olga Adelmann beim Restaurieren der großen Bassgeige von Hans Krouchdaler, 1689 (Adelmann 1997), SIMPK / Nachlass Olga Adelmann

Dieses kurze Intermezzo setzte jedoch ihrem Enthusiasmus für die Alemannischen Geigen kein Ende. Die Veröffentlichung ihres Aufsatzes im Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung 1969 hatte tatsächlich die Entdeckung weiterer Instrumente und archivalischer Dokumente nach sich gezogen. 1990, 14 Jahre nach ihrem Ruhestand, veröffentlichte sie ihr Buch Die Alemannische Schule. Archaischer Geigenbau im 17. Jahrhundert im südlichen Schwarzwald und in der Schweiz. Insgesamt 21 Objekte hatte Adelmann untersucht, dokumentiert und katalogisiert. Dabei identifizierte sie nicht nur die Geigenmacher, verortete sie und analysierte ihre Werke minuziös. Ihre Ausbildung im Geigenbau gab ihr die Möglichkeit, die historische Technik dieser Schule zu erforschen und nachzuahmen. So kam das Musikinstrumenten-Museum Berlin, neben einigen historischen Exemplaren, auch in den Besitz der Kopie eines Instruments von der Hand von Olga Adelmann.

1996 war die Zahl der Instrumente, die der Alemannischen Schule zugerechnet werden können, von 21 auf 33 gestiegen und eine Neuauflage ihres Buchs war von Nöten. In Zusammenarbeit mit ihren Kolleg:innen am Staatlichen Institut für Musikforschung wurde das Buch komplett überarbeitet und neue Kapitel hinzu gefügt. Das Wort „archaisch“ im Titel entfiel (Adelmann 1997).

In der Sammlung des Musikinstrumenten-Museums Berlin befinden sich einige Objekte Adelmanns: Handschriftliche Zettel, kleinere Objekte und ganze Instrumente, die ihr umfangreiches Wirken beschrieben und jeden Tag entdeckt man etwas Neues. Die Forschung zu ihrem Leben und Werk steht also nur am Anfang. Fragen gibt es viele.

Literaturverzeichnis

(D.M.) (1957): Zauberin der Töne. Von der Werkstatt in die Instrumentensammlung des Schlosses Charlottenburg. In: Telegraf 1957, 20.03.1957.

(M.M) (XX.XX.1940): Junge Berlinerin wurde erste Geigenbau=Meisterin. Tüchtiges Mädchen führt die Werkstatt, während der Besitzer im Felde ist. In: Berliner illustrierte Nachtausgabe 1940, XX.XX.1940.

Adelmann, Olga (1997): Die Alemannische Schule. Geigenbau des 17. Jahrhunderts im südlichen Schwarzwald und in der Schweiz. Unter Mitarbeit von Olga Adelmann und Annette Otterstedt. 2. Aufl. Berlin: Staatliches Institut für Musikforschung.

Möckel, Otto (1967): Die Kunst des Geigenbaues. mit 150 Abbildungen und 33 Tafeln. Überarbeitete Ausgabe. Unter Mitarbeit von Fritz Winckel. 3. Aufl. Hamburg: Verlag Handwerk und Technik.

Otterstedt, Annette ((Datum unbekannt)): Olga Adelmann. FemBio Frauen-Biographieforschung e.V. Online verfügbar unter www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/olga-adelmann/, zuletzt geprüft am 30.06.2021.

Sacconi, Simone Ferdinando (1976): Die 'Geheimnisse' Stradivaris. deutsche Übersetzung: Olga Adelmann. Unter Mitarbeit von Simone Ferdinando Sacconi und Olga Adelmann. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Verlag das Musikinstrument.

Schumann, Walter (1938): Olli, die Berliner Geigenbauerin. Es ist ein seltener Beruf für Frauen - Ihr großes Erlebnis: Wanderfahrt zu berühmten Geigen. In: Berliner illustrierte Nachtausgabe 1938, 20.01.1938, 1. Beiblatt.