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"Eine Überraschung war es eigentlich nicht"
Geigenbau in West- und Ost-Berlin
von Barnes Ziegler
2024 feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Zugleich jährt sich die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik und damit die Zeit der Existenz zweier deutscher Staaten, die 1990 mit der Deutschen Einheit endete. Die Geschichte der Geigenbauerin Olga Adelmann und ihres Lehrers und Kollegen Curt Jung erzählt, wie sich die deutsche Teilung auf Traditionen im Geigenbauhandwerk auswirkte.
Der erste Protagonist dieser Geschichte ist Curt Jung (geb. 18.4.1899 in Dresden, gest. 26.4.1984 in Berlin). Seine Ausbildung zum Geigenbauer absolvierte er bei dem Hofinstrumentenmacher Gustav Adolph Hammig, in seiner Geburtstadt, Dresden. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und diente, laut Erinnerung seines Sohnes, bei den Luftstreitkräften. Seine Fähigkeiten als Holzhandwerker prädestinierten ihn für die Instandhaltung der Flugzeuge, die damals zum Großteil aus Holz und Stoff bestanden.
Nach dem Ende des Krieges arbeitete er zunächst in Helsinki und dann bei Joseph Ennemoser in Meran. 1925 zog er schließlich nach Berlin, wo er die Leitung der Geigenbauwerkstatt von Otto Möckel (geb. 10.5.1869 in Berlin, gest. 23.1.1937 ebenda), in der Rankestraße in Berlin-Charlottenburg, übernahm. Otto Möckel war zu der Zeit einer der bekanntesten Geigenbauer Berlins, der darüber hinaus auch publizistisch sehr aktiv war. Von ihm stammen mehrere Bücher. Er gab auch dieZeitschrift Die Geige heraus, die den Geigenbau, vor allem in Deutschland,bis heute prägen. Mit dem Musikinstrumenten-Museum SIMPK verbindet Möckel, seine Mitgliedschaft in der Sachverständigen Kommission, die die „Sammlung alter Musikinstrumente“ (die Vorgängereinrichtung des Musikinstrumenten-Museums SIMPK) bei Ankäufen neuer Instrumente beriet.
Möckel und Jung müssen in sehr enger Verbindung zueinander gestanden haben, denn 1931 wurde Möckel Pate von Curt Jungs Sohn, der später auch Geigenbauer werden sollte.
1934 betritt Olga Adelmann (geb. 2.10.1913 in Berlin; gest. 8.5.2000 ebenda), unsere zweite Protagonistin, die Bühne. Die damals 21-Jährige überredete Altmeister Möckel sie im Geigenbauhandwerk auszubilden. Als erste Frau in Deutschland legte sie drei Jahre später ihre Gesellenprüfung bei der Berliner Geigenbauinnung ab. Noch im selben Jahr verstarb Möckel, kurz nach seiner Entlassung aus der Gestapo-Haft – er war wegen kritischer Äußerungen über das NS-Regime verhaftet worden.
Curt Jung übernahm Möckels Werkstatt und führte sie bis 1940 weiter. Olga Adelmann wollte eigentlich auf Wanderschaft gehen, was aber wegen der zunehmenden politischen Isolation Deutschlands nicht möglich war.
So blieb sie als Gesellin bei Jung und bereitete sich auf die Meisterprüfung vor. 1940 wurde Jung zum Kriegsdienst eingezogen. Olga Adelmann machte ihre Meisterprüfung und übernahm bis 1941 kommissarisch die Leitung der Werkstatt und die Ausbildung des letzten Lehrlings. Als Jung 1941 für ein Jahr auf Arbeitsurlaub zurückkam, entschloss er sich die Werkstatt zu schließen und Teile davon nach Schlesien auszulagern, wo er Verwandte hatte.
Wiederaufbau und die deutsch-deutsche Teilung
Nach Kriegende und seiner Rückkehr nach Berlin widmete sich Curt Jung dem Wiederaufbau seiner Werkstatt und der Ausbildung seines Sohnes. In einem Gespräch mit uns erinnert sich der Sohn, wie sie mit jeweils zwei Instrumentenkoffern durch das zerstörte Berlin bis in ihre Werkstatt in Charlottenburg, im Westen Berlins, gingen. Der Handel mit Instrumenten lief weiter. Manche Musiker hatten ihre Instrumente im Krieg verloren, wieder andere hatten ein Instrument, das sie verkaufen wollten, um an Geld zu kommen. Die traditionsreiche Werkstatt von Otto Möckel lief also wieder an. Das Musikinstrumenten-Museum SIMPK besitzt eine Viola da Gamba (Kat.-Nr.: 5818) mit dem Zettel: „Curt Jung, FECIT BERLIN A.D. 1959“. Sie zeugt sowohl von dem großen handwerklichen Können Curt Jungs als auch der wieder erstarkenden Nachfrage nach neuen Musikinstrumenten.
Der Bau der Berliner Mauer setzte dem ein jähes Ende. Curt Jung und sein Sohn, die beide in Ost-Berlin wohnten, konnten nicht mehr zu ihrer Charlottenburger Werkstatt in West-Berlin zurück. Überrascht waren sie eigentlich nicht, erinnert sich Curt Jungs Sohn. Schon länger hatte man geahnt, dass irgendetwas passieren würde. Unklar war aber, wie lange die „Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze“ anhalten würden. Man entschloss sich daher, weiter die Miete der Werkstatt zu bezahlen und eine kommissarische Leitung einzusetzen.
Olga Adelmann, die zu der Zeit bereits am Musikinstrumenten-Museum als Restauratorin arbeitete, kam nicht mehr in Frage. Die Suche nach anderen geeigneten Kandidatinnen verlief erfolglos. Nach zwei Jahren gaben die Jungs auf. Die Werkstatt wurde geschlossen und das Inventar mit Hilfe von Freundinnen der Werkstatt in einen Eisenbahnwagen geladen und nach Ost-Berlin gebracht. Davon zeugen auch Eintragungen im Akzessionsbuch des Musikinstrumenten-Museums, das einige Objekte aus der Werkstattauflösung erworben hatte.
Der mittlerweile 64-jährige Curt Jung zog sich in sein Haus in Finkenkrug zurück, wo er sich eine kleine Werkstatt eingerichtet hatte. Hier widmete er sich vor allem dem Bau neuer Streichinstrumente. Auch aus dieser Zeit besitzt das Musikinstrumenten-Museum eine Viola d’amore (Kat.-Nr.: 5748). Der gedruckte Zettel ist einem handschriftlichen gewichen. Die Aufschrift lautet „Curt Jung, fecit Finkenkrug 1962“.
Curt Jungs Sohn hingegen eröffnete mit dem, was von der Möckel‘schen Werkstatt geblieben war eine eigene Werkstatt in Pankow. Kleine Handwerksbetriebe in der DDR konnten in gewisser Weise den Kollektivierungsbemühungen der Regierung der DDR entgehen. Gerade in den Großstätten konnten sich die Geigenbauer kleine Betriebe aufbauen und weitgehend selbstständig arbeiten. Dies war vor allem für die Reparatur- und Dienstleistungsarbeiten für die Musikerinnen in der DDR enorm wichtig. So ist es eigentlich verwunderlich, dass es in den 70er Jahren in Ost-Berlin neben Curt Jungs Sohn nur noch Heinrich Riensche als selbstständigen Geigenbauer gab.
Aus den Nachlässen von Olga Adelmann und Gesprächen mit Curt Jungs Sohn lässt sich die Beziehung der beiden auch während der Zeit der deutsch-deutschen Teilung teilweise rekonstruieren.
Briefe und Postkarten zeugen von einem freundschaftlichen Verhältnis, das bis zum Tod Curt Jungs im Jahr 1984 anhielt. Besonders interessant ist eine Postkarte aus dem Jahr 1977, in der von einem Buch des Cremoneser Geigenbauers Simone Ferdinando Sacconi die Rede ist. Nachdem Olga Adelmann 1937 ihre Gesellenprüfung abgelegt hatte, ging sie nach Cremona, der Geburtsstadt Antonio Stradivaris, wo zu dessen 200. Todestag eine der bis dahin größten Ausstellungen seiner Instrumente zu sehen war. Auf Anraten von Otto Möckel suchte Adelmann Sacconi auf, der zu den bedeutendsten Stradivari-Experten seiner Zeit gehörte. Diese Begegnung wurde zu einer Freundschaft, die durch einen intensiven Briefwechsel der beiden dokumentiert ist. Sacconi, der in den 30er Jahren in die USA ging, veröffentlichte 1972 sein Buch „I ‚segreti‘ di Stradivari“, in dem er seine Erkenntnisse zu den Bautechniken Stradivaris praxisnah zusammenfasst. Dieses Werk ist heute ein Standardwerk im Geigenbau - unter anderem deshalb, weil Olga Adelmann das Buch ins Deutsche übersetzt hat. Anscheinend hatte Curt Jung nach einer Ausgabe gefragt. Olga Adelmann scheint jedoch skeptisch zu sein, ob sie es schafft, denn beim letzten Mal wurden ihr, wie sie schreibt, Fachbücher an der Grenze abgenommen.
Einige Jahre später scheint es jedenfalls einfacher geworden zu sein, denn in einem Brief an Curt Jungs Sohn im Jahr 1988 fragt sie ganz offen, ob er Bücher wolle und merkt an dass Sie ihm gerne welche schicken könne.
Die Geschichte von Curt Jung und Olga Adelmann ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, wie sich der Austausch im Instrumentenbau zwischen den beiden deutschen Staaten gestaltet hat. Viele Fragen sind offen. Wie war die Stellung der Handwerkerinnen in der DDR? Wie kamen sie an ihr Material? Welche Rolle spielte der Export von Musikinstrumenten? Gab es einen Wissenstransfer über die Grenze hinweg und wie funktionierte er?
Die Ausstellung Instrumentenbau in zwei deutschen Republiken im Musikinstrumenten-Museum SIMPK möchte den Fokus auf diese Fragen lenken, sensibilisieren und Anstoß für weitere Forschungen geben.
Zum Schluss möchte sich der Autor bei Curt Jungs Sohn für die intensiven Gespräche und ausführlichen Auskünfte bedanken, für die Geduld, mit der er alle Fragen beantwortet hat und die vielen Dokumente, die er für die Forschung zu Verfügung gestellt hat.