Interpret*innenfenster

In der ReiheInterpret*innenfenster“ stellen wir Ihnen, in zwangloser Folge und ohne Anspruch auf eine erschöpfende Darstellung, in Vergessenheit geratene Größen aus der Geschichte der musikalischen Interpretation vor, analog in einer Vitrine im Eingangsbereich unserer Bibliothek, digital im Rahmen des urheber- und verwertungsrechtlich Erlaubten hier an dieser Stelle.

2000 Jahre Musik auf der Schallplatte

Fast zeitgleich mit Percy Scholes' The Columbia history of music by ear and eye veröffentlichte die Carl-Lindström-AG einen musikhistorischen Kursus, zusammengestellt und erläutert – „aufgebaut“, wie es auf den Etiketten der zwölf Schallplatten heißt, – von Curt Sachs. In einem knappen Aufsatz, der das Erscheinen des 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte betitelten Werkes anzeigte, schrieb Sachs:

Der Dozent, der seinen Stoff mit Hilfe der Sprechmaschine beleben, ja überhaupt erst vortragsfähig machen wollte, sah sich vor ungeheuren Schwierigkeiten. Schon das 18. Jahrhundert ist in den Archiven der Schallplattenfirmen nur spärlich vertreten, und Platten aus noch älterer Zeit findet man nur zufallsweise. Und in den meisten Fällen sind sie unbrauchbar, weil sie durch die Verwendung falscher Instrumente und durch mangelhafte Stilbeherrschung meist das Gegenteil von dem zeigen, was anschaulich gemacht werden soll. Als erste der deutschen Schallplattenfabriken hat sich jetzt die Lindström A.-G. dazu entschlossen, eine geschlossene Reihe von Platten anzufertigen, die im Stande sind, die Hauptstufen der europäischen Musikgeschichte stilgerecht zu illustrieren. (...) Die kleine Reihe ist als ein erster Schritt gedacht. Von dem tätigen Interesse der Schulen, Konservatorien und Universitäten wird es abhängen, ob wir einmal zu einem großen musikgeschichtlichen Plattenarchiv kommen werden. (Curt Sachs, „Zweitausend Jahre Musik auf der Schallplatte”, Kultur und Schallplatte 1 (1930), 11, 81–82)

Curt Sachs, 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte. Berlin: Carl Lindström AG, 1930. 26 Seiten, 12 doppelseitige Normalrillen-Schallplatten (25 cm Durchmesser). Erste Ausgabe. Signatur: SIMPK, Bibliothek, P25N 1858, 2

Das Unternehmen fand wohl hinreichenden Zuspruch, und Sachs konnte eine Fortsetzung realisieren, allerdings erst nach der Flucht vor den lebens- und geistfeindlichen Folgen des seinerzeitigen Rechtsrucks, von Paris aus; sie hieß L'anthologie sonore und sollte bis 1957 knapp 200 Titel umfassen.

Titelblatt des 11. Hefts des ersten Jahrgangs der Werbezeitschrift Kultur und Schallplatte

Titelblatt des 11. Hefts des ersten Jahrgangs der Werbezeitschrift Kultur und Schallplatte: Mitteilungen der Carl Lindström A. G. Kultur-Abteilung. Signatur: SIMPK, Bibliothek, C 2/18, 1


Die Interpret*innen der 24 Schallplattenseiten

Gregorianische Arbeitsgemeinschaft der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik zu Berlin unter der Leitung von Hermann Halbig

Kantorei der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, Berlin, unter der Leitung von Pius Kalt

Staats- und Domchor, Berlin,unter der Leitung von Hugo Rüdel

Thiel'scher Madrigalchor unter der Leitung von Carl Thiel

Münchener Violen-Quintett mit Valentin Härtl(Diskantviole), Anton Huber (Viola da gamba), Willy Stuhlfauth (Viola d'amore), Karl List (Viola da gamba) und Willi Schmid(Baß-Viola da gamba)

Georg Blumensaat (Oboe)

Erwin Bodky(Cembalo und Clavichord)

Berek Bernhard Fränkel (Gesang)

Martha Geißmar(Violine)

Pál Hermann(Violoncello)

Hans Joachim Moser (Baßbariton)

Maria Peschken (Alt)

Curt Sachs (Cembalo)


Curt Sachs, 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte, Neuausgabe 2018

Martin Elste, Carsten Schmidt (Hrsg.), 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte – Two Thousand Years of Music. Alte Musik anno 1930. Eine diskologische Dokumentation zur Interpretationsgeschichte. Herausgegeben im Auftrag des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz und der Gesellschaft für Historische Tonträger. Wien: Gesellschaft für Historische Tonträger, 2018. 228 Seiten, 1 CD. (= The Lindström Project. 8), ISBN 978-3-9502906-3-9, 39,– EUR

Es handelt sich um eine wissenschaftlich-kritische Neuausgabe des Werkes mit allen erreichbaren Dokumenten zu seiner Entstehung und Rezeption, biographischen Kurzporträts der Künstler, Angaben zum verwendeten Notenmaterial und Reproduktionen der originalen erläuternden Textbeilagen in Deutsch, Englisch und Spanisch. Die beigefügte CD enthält eine für die Neuausgabe angefertigte quellenkritische Hörfassung der originalen Schellackplatten von Christian Zwarg, der seine Audio-Restaurierung ausführlich erläutert. Ebenfalls enthalten ist die Transkription einer Diskussionsrunde über die Einspielungen, die im Sachs-Gedenkjahr 2006 stattfand. Sie können das Buch in unserem Shop​​​​​​​ bestellen.

In der Aufnahmesitzung mit dem eigens angereisten Münchener Violen-Quintett am 17. März 1930 nahm die Lindström-AG für ihre „Kultur-Abteilung” insgesamt drei Seiten auf: Eine mit Deutschen Tänzen um 1600 und zwei mit Altenglischen Tänzen der Elisabethanischen Zeit. Die erste wurde in der Sammlung 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte veröffentlicht, die zwei weiteren unter dem Titel Altenglische Tänze aus der Shakespeare-Zeit erst im Juni 1932 auf dem Odeon-Label. 1935 erschien eine Lizenzausgabe bei der US-amerikanischen Decca. Diese zwei Schallplattenseiten sind aus Platzgründen nicht auf der dem Buch beigefügten CD enthalten, gehören jedoch offensichtlich in den Produktionszusammenhang der 24 veröffentlichten Seiten und sind darum an dieser Stelle nachgereicht.

James His Galliard – My Robbin – A toy – Hollie berrie – Daphne – The Whyche, gespielt vom Münchener Violen-Quintett, Normalrillen-Schallplatte Decca 20046

James His Galliard – My Robbin – A toy – Hollie berrie – Daphne – The Whyche. Münchener Violen-Quintett mit Valentin Härtl (Diskantviole), Anton Huber (Viola da gamba), Willy Stuhlfauth (Viola d'amore), Karl List (Viola da gamba) und Willi Schmid (Baß-Viola da gamba), Berlin, Lindström-AG, Schlesische Straße 26, Raum 2, 17. März 1930. Aufnahmeleiter: Otto Birckhahn. Normalrillen-Schallplatte Decca 20046 (£ Be 9924; £ Be 9925, übernommen von £ 38363; £ 38364). Privatbesitz

Nachtrag

Wenige Wochen nach Druck der 2., korrigierten Auflage des Bandes erhielten wir dankenswerterweise von Michał Pieńkowski, Warschau, die Information, dass es auch eine polnische Ausgabe der Reihe 2000 Jahre Musik auf der Schallplatte gegeben hat, deren diskographische Angaben wie folgt lauten:

PARLOPHON (PL): P 44 881/92
12 Schellackplatten 25 cm

Titel des Booklets: 2000 lat muzyki na płytach. Przykłady do historii nauki muzyki w opr. Prof. D-ra Curta Sachsa tekst objaśn. dyr. A. Wieniawskiego.

Titel des Albumcovers: Prof. Dr. Curt Sachs. Historja muzyki. Texst objasn. dyr. A. Wieniawskiego.

Diese Angaben ergänzen die auf Seite 220 gedruckten Angaben.

Etikett der ersten Seite der polnischen Ausgabe 2000 lat muzyki na płytach
 

Etikett der ersten Seite der polnischen Ausgabe 2000 lat muzyki na płytach

Martin Elste, Carsten Schmidt und Frank Wonneberg, März 2019

Schlagwörter

Curt Sachs; Kunstwissenschaftler; Musikwissenschaftler; Verfolgung; Auswanderung; Normalrillen-Schallplatte; musikalische Interpretation; Geschichte 1930

Carsten Schmidt

Leiter der Bibliothek und des Referats Musikwissenschaftliche Dokumentation

+49 30 254 81 140

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