Leo Blech (1871–1958)

Interpret*innenfenster (Vitrine) zu Leo Blech in der SIM-Bibliothek

Der erste Beitrag der Reihe Interpret*innenfenster galt dem Komponisten und Dirigenten Leo Blech, dessen Todestag sich am 25. August 2018 zum 60. Mal jährte. Blech studierte Komposition (Woldemar Bargiel, Engelbert Humperdinck) und Klavier (Ernst Rudorff). Dirigent wurde Blech, wie seinerzeit üblich, zunächst als sein eigener Interpret. Als sein kompositorisches Hauptwerk gilt die Oper Versiegelt op. 18. Der Einakter ist, mit Oscar Bie (Die Oper, Berlin 8.–10. Aufl. 1923, S. 531), ein „Meisterstück geschickter und graziler Hände, Geist und Kunst und Wahrheit in einem.“

Umschlag "Leo Blech: Ein Brevier"

P. Walter Jacob (Hrsg.), Leo Blech: Ein Brevier. Hamburg, Leipzig: Prismen-Verlag, 1931. Umschlag. Signatur: SIMPK, Bibliothek, G Blech 27/1, das abgebildete Exemplar stammt aus Privatbesitz

Blechs Kompositionen amalgamieren Gesten, Techniken und individuelle Züge der Vorbilder (Meyerbeer, Wagner, Humperdinck und Liszt vor anderen), ohne grundsätzlich Neues zu bieten. Wohl waren die Werke Blechs einmal „Novitäten“ von Rang und wurden von Kollegen wie Mahler, Strauss, Schuch und Mengelberg aufgeführt, doch 1931 konnte P. Walter Jacob resümieren, dass Blech als Komponist „schon der Musikgeschichte dieser Zeit“ angehöre.

Umschlag Libretto Leo Blech, "Das war ich!"

Leo Blech, Das war ich! Dorfidylle in einem Akt op. 12. Umschlag des Textbuches. Berlin: Bote & Bock, 1902. Signatur: SIMPK, Bibliothek, Ff 38 Blech 2

Umschlagrückseite eines Programmheftes zu einer Aufführung der Oprette "Die Strohwitwe" von Leo Blech

Inserat der Grammophon-Spezialhaus GmbH, Berlin, Friedrichstraße, für die 1920 erschienenen Schallplatten mit Auszügen aus Leo Blechs Operette Die Strohwitwe op. 26. Programm für eine Aufführungsserie im Juli 1921, Umschlagseite 4. Signatur: SIMPK, Bibliothek, SM 70 Programme

Leo Blech begann seine Kapellmeisterkarriere 1893 am Aachener Stadttheater. 1899 verpflichtete ihn Angelo Neumann an das Neue Deutsche Theater Prag. 1906 wurde er an die Königliche Oper (später Staatsoper) Berlin berufen, 1913 folgte die Ernennung zum Königlich Preußischen Generalmusikdirektor. 1923 verließ Blech die Staatsoper und war kurzzeitig als künstlerischer Direktor an der Berliner Städtischen Oper, der Großen Volksoper Berlin und der Wiener Volksoper tätig. Auf Betreiben Erich Kleibers kehrte Blech 1926 an die Berliner Staatsoper zurück, wo er, jüdischer Herkunft, bis April 1937 bleiben konnte, seit Beginn der Naziherrschaft geschützt durch den Einfluß des Generalintendanten Heinz Tietjen auf Hermann Göring. Nach einem Gastspiel in Riga durfte Blech nicht mehr nach Deutschland einreisen und blieb als Dirigent am dortigen Nationaltheater. Im September 1941 gelang dem Ehepaar Blech die Flucht vor der Deportation ins Rigaer Ghetto nach Schweden. 1941–1949 dirigierte er als Hofkapellmeister an der Königlichen Oper Stockholm. Nachdem sich unmittelbar nach Kriegsende Ernst Legal erfolglos um die Verpflichtung Blechs an die Deutsche Staatsoper Berlin bemühte, folgte er 1949 der Bitte seines Freundes Tietjen und remigrierte nach Berlin, wo er bis 1953 als Dirigent an der Berliner Städtischen Oper wirkte.

Blechs Dirigieren ist in zahlreichen Schallplatten- und einigen Tonfilmaufnahmen gut dokumentiert; treffend charakterisiert ist es durch Wilhelm Furtwänglers Urteil: „Ich bin ein aufrichtiger Bewunderer seiner großen Kunst, die in ihrer Vereinigung von Sicherheit und Klarheit mit Eleganz und Geschmeidigkeit unvergleichlich ist.“ (Jacob, S. 56).

Etikett der Schallplatte Decca K 1854

Engelbert Humperdinck, Vorspiel zu der Oper Hänsel und Gretel. Orchestre de la Suisse Romande, Leo Blech. Genf, 3. Juli 1947. Normalrillen-Schallplatte Decca K 1854 (SAR 255-1; SAR 256-1), Etikett. Privatbesitz

Blechs erste Tonaufzeichnungen, Klavieraufnahmen auf Notenrollen für mechanisches Klavier, entstanden um 1911 für das Virtuola-Labelder Firma Römhildt und enthalten Auszüge aus Opern von Bizet, Wagner und Humperdinck.

Notenrolle Virtuola 4133, Bizet, Carmen: Vorspiel und Duett Micaëla-Don José, übertragen und gespielt von Leo Blech

Georges Bizet, Carmen: Vorspiel und Duett Micaëla-Don José, übertragen und gespielt von Leo Blech. Notenrolle Virtuola 4133, Signatur: SIMPK, R 602 (Notenrolle) und R 917 (Schachtel). Foto: Sabine Hoffmann, 2018

Im Sommer 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, fiel Leo Blech die Aufgabe zu, die ersten Schallplattenaufnahmen der Berliner Königlichen Kapelle für den deutschen Zweig der Firma Gramophone, die Deutsche Grammophon AG, zu leiten. Diese Aufnahmen waren auch für Blech die ersten Aufnahmen für das Medium Schallplatte. In der ersten Sitzung eingespielt und im Herbst desselben Jahres veröffentlicht wurden Nummern aus Carmen von Bizet, Versiegelt von Blech und aus Les contes d'Hoffmann von Jacques Offenbach.

Umschlag eines Pgragrammheftes mit einem Inserat für die ersten Schallplattenaufnahmen der Berliner Königlichen Kapelle

Inserat des Grammophon-Spezialhaus, Berlin, Friedrichstraße, für die ersten Schallplatten der Berliner Königlichen Kapelle. Programm zum II. Sinfonie-Abend, 6. November 1917, Umschlagseite 4. Privatbesitz

Etikett der Normalrillen-Schallplatte Grammophon 3-40501 (18654 L)

Georges Bizet, Carmen: Danse bohémienne aus dem 4. Akt, Königliche Kapelle Berlin, Leo Blech. Berlin, Sommer 1916. Normalrillen-Schallplatte Grammophon 3-40501 (18654 L). Erste Tonaufzeichnung der Berliner Königlichen Kapelle. Abgebildet ist eine Pressung von etwa 1920, auf deren Etikett das Orchester mit Rücksicht auf die veränderte politische Ordnung in "Kapelle des Staats-Theaters" umbenannt ist. Privatbesitz

Auf dem Schweizer Label Elite erschienen wenige Jahre nach Blechs Tod drei Langspielplatten mit Produktionen, die Blech 1950 mit dem Orchester der Berliner Städtischen Oper für die Firma Tefi Apparatebau Dr. Daniel KG im Studio Lankwitz, dem Konzertsaal der Siemens-Villa, aufgenommen hatte. Das Tefi-Schallband ist ein Nadeltonträger und wurde, wie Schallplatten seit etwa 1948 generell, nach Magnettonband-Aufnahmen hergestellt. Die Kassetten werden mit dem Tefifonwiedergegeben.

Tefi-Schallband TD/S 4074 Berühmte Ouvertüren I nebst Schuber

Georges Bizet, Carmen: Entracte vor dem 4. Akt, Orchester der Städtischen Oper Berlin, Leo Blech. Berlin, 1950. Zu sehen ist das Tefi-Schallband TD/S 4074 Berühmte Ouvertüren I nebst Schuber (Privatbesitz, Foto: Sabine Hoffmann, 2018), zu hören ist die Mikrorillen-Schallplatte Elite Special PLPE 30 028. Signatur: SIMPK, Bibliothek, SM 52 Nachlass Joachim Matzner

Links

Deutscher Wikipedia-Artikel über Leo Blech
Artikel über Leo Blech im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM)
Literaturnachweise von und zu Leo Blech in der Bibliographie des Musikschrifttums (BMS)
Handschriftliche Dokumente von Leo Blech in der Bibliothek des SIMPK
Nachweise zu Leo Blech im Archiv des Konzertlebens (AdK)
Leo Blech in den Digitalen Sammlungen des SIMPK

Carsten Schmidt, Juli 2018, unter Verwendung meines Textes für Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG²) von 1999, und mit herzlichem Dank an Oliver Wurl, Berlin, der mir eine Arbeitsfassung seiner noch unveröffentlichten Blech-Diskographie zugänglich machte.

Schlagwörter

Leo Blech; Komponist; Kapellmeister; Dirigent; Verfolgung; Auswanderung; Rückwanderung; Notenrolle; Normalrillen-Schallplatte; Tonband; Tefifon; Mediengeschichte; musikalische Interpretation; Geschichte 1893–1953