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Which Stage Is Yours?
Frühe elektronische Instrumente in einer Musikwelt im Umbruch
Die ersten Konstruktionen elektronischer Musikinstrumente – wie das Telharmonium von Thaddeus Cahill – erfolgten bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert. Aus der heutigen Perspektive blieben sie Versuche und Einzelunternehmungen. Cahill konnte zwar nach dem Demonstrationsmodell seines riesenhaften Telharmoniums, für das er bereits 1897 ein erstes Patent erhielt, eine Spielversion realisieren. Sie fand als Dynamophone in einem New Yorker Hotel Platz. Allerdings blieb es bei diesem einen Instrument. Vermutlich lag es daran, dass das Instrument ungefähr 200 Tonnen schwer war und in etwa die Ausmaße einer Kirchenorgel hatte – von den Konstruktionskosten ganz zu schweigen. Doch der viel wichtigere Aspekte war die Rolle, die dieses und andere elektronische Instrumente bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts einnahmen. Denn elektronische Musik als ein eigenes Genre war weder „erfunden“ noch etabliert.


Mit dem technischen Fortschritt wuchs auch die allgemeine Verfügbarkeit der Bauteile, die in Instrumentenkonstruktionen Verwendung fanden. Sie konnten in den 20er Jahren endlich von jedermann gekauft werden. In dieser Zeitspanne – vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die sogenannten Goldenen Zwanziger – vollzogen sich auch in der Musikkultur große Umwälzungen. Die neuen Medien für Tonaufnahmen, ab den 1880er Jahren auf Phonographen-Walzen, ab den 1890er Jahren auf Schallplatten, führten zur Entstehung eines neuen Zweigs der Musikindustrie, der rasch auch wirtschaftlich dominierte. Die Aufnahmen machten Musik zu einer personalisierbaren und hinsichtlich der Interpretationen vergleichbaren Ware – unabhängig von der musikalischen Aufführung. Ab den 1920er Jahren gesellte sich der institutionalisierte Rundfunk hinzu, der eine unvergleichlich große Reichweite erzielen konnte. Mit diesen neuen Medien, aber auch mit dem Umbruch im Mäzenatentum nach 1918, wuchs der Bedarf an neuen Musikformen. Die Funkoper, die Operette, schließlich auch die Revue sowie der aus den Vereinigten Staaten nach Europa getragene Jazz, neue Tanzformen wie Tango und Foxtrott, sie alle zeugen von der neuen Verästelung musikalischer Stile und Formen, die nicht zuletzt Ausdruck eines radikal veränderten Lebensgefühls waren.
In dieser von Aufbruchsstimmung gekennzeichneten Welt versuchen sich zahlreiche Bastler, Hobbymusiker oder technikbegeisterte Musikprofis an Konstruktionen von Musikinstrumenten. In der Konkurrenzsituation spürten sie viel stärker die Notwendigkeit, ihre Konstruktionen sinnvoll auf den zahlreichen Bühnen zu präsentieren als beispielsweise Cahill knapp 30 Jahre früher. Jörg Mager führte sein Sphärophon anlässlich des sechsten Donaueschinger Kammermusikfestes 1926 zunächst einem Fachpublikum vor. Paul Hindemith, einer der damals bekanntesten Komponisten und bedeutender Akteur dieses Festes, verfasste daraufhin ein äußerst wohlwollendes Empfehlungsschreiben. Bereits im Folgejahr konnte Mager bei der Ausstellung „Musik im Leben der Völker“ sein Instrument einem breiten Publikum präsentieren. Auch Lev Termen, der russische Erfinder des heute noch bekannten Theremins, präsentierte neben Jörg Mager sein Instrument, bevor er durch ganz Westeuropa und schließlich die USA tourte und damit – im Gegensatz zu Mager – schlagartig berühmt wurde.


Mager wie Termen – und später weitere Akteure – standen beide vor dem gleich Problem. Es war bis zu diesem Zeitpunkt noch keine „elektronische“ Musik komponiert worden. Was also spielen? Und wenn kein Komponist in seinen Werken einen speziellen Rahmen für Auftritte schuf, in einem symphonischen Werk, einem Revue-Ensemble oder einer Oper, wie sollte man vorgehen? Jörg Mager, der sich stets schwertat, Kontakte zu knüpfen und eine öffentlichkeitswirksame Präsentation zu realisieren, verweilte überwiegend in Expertenkreisen. Einige wenige Ausnahmen sind durch Zeitungsartikel belegt, die zeigen, dass er überwiegend an etablierte Genres wie Theater- bzw. Schauspielmusik anzuknüpfen versuchte und weniger an neue wie beispielsweise die Musik für Tonfilm. Lev Termen demonstrierte sein Instrument in den meisten Fällen mit Adaptionen bekannter klassischer Kompositionen und Klavierbegleitung. Erst während seiner Zeit in den USA konnte er das Interesse einiger Komponisten an seinem Instrument wecken.
Ab 1930, also einige Jahre nach Mager und Termen, betrat Oskar Sala die Bühne. Da sein Trautonium, im Gegensatz zum Sphärophon Jörg Magers, in der Rundfunkversuchsstelle der damaligen Staatlichen akademischen Hochschule für Musik entwickelt wurde, war die Entstehungsgeschichte des Instruments institutionell verankert und entsprechend vernetzt. Die Rundfunkversuchsstelle als eine innovativ arbeitende Forschungseinrichtung nicht nur für Radio, sondern auch für Tonfilm, war eng mit den elektrotechnischen Wirtschafts- und Forschungszweigen verbunden. Es war in frühen Konzepten dieser Stelle entsprechend festgelegt, dass die Entwicklung von Instrumentenkonstruktionen, ähnlich wie dem Magerschen Sphärophon, eine wesentliche Aufgaben der Rundfunkversuchsstelle sein würde. Die technologischen und technischen Grundlagen des Trautoniums waren eng mit denen des Rundfunks verbunden. Die Entwicklung zur Serienreife erfolgte unter dem Gesichtspunkt einer Anwendung auf diesem Gebiet. Damit konnte Sala, der erste Solist auf dem Trautonium, bereits auf eine Rolle „seines“ Instrumentes aufbauen. Daneben betätigte sich der redegewandte und künstlerisch wie wissenschaftlich äußerst versierte Sala als ausdauernder und vielseitiger „Vermarkter“ des Trautoniums. Für Auftritte auf Konzertbühnen konnte er auf die Bekanntschaft zu Komponisten wie Paul Hindemith und besonders Harald Genzmer zählen, die ihn mit größeren und kleineren Kompositionen versorgten. Sala stellte sein Instrument, das er selbst auch weiterentwickelte, zudem bei wissenschaftlichen und kulturellen Vorträgen vor und gewann so ein immer größeres und vielfältigeres Publikum. Bereits Anfang der 30er Jahre durfte er eine kleine Rundfunksendung bestreiten. Er betätigte sich auch auf dem Gebiet des Tonfilms, beispielsweise für den Streifen „Stürme über dem Mont Blanc“ von Arnold Fanck, allerdings nicht mit Musik, sondern mit der Imitation des Klanges von Flugzeugpropellern.


Die Beispiele Jörg Magers und Oskar Salas sind lediglich zwei von vielen weiteren, die es noch zu erforschen gilt. Für das Musikinstrumenten-Museum ist darüber hinaus Bruno Helberger mit seinem Heliophon besonders interessant, da das Museum neben mehreren Trautonien auch ein Heliophon in seiner Sammlung hat. Für eine kurze Zeit war auch eines der letzten Instrumente Jörg Magers, der 1939 an den Folgen einer schweren Diabeteserkrankung verstarb, Teil der Sammlung des MIM. Der Verbleib des Instruments ist heute leider unbekannt. Die unterschiedlichen Strategien, Bemühungen und Betätigungsfelder der Musikwelt in den ausgehenden 20er Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, stellen eine große Herausforderung bei der Erforschung der Geschichte der frühen elektronischen Instrumente dar. Da es zu dieser Zeit die elektronische Musik noch nicht als eigenständiges Genre gab, haben die Bemühungen der damaligen Akteure wegweisenden Charakter. Sie bereiteten über persönliche Netzwerke, Wissenskontexte, aber auch musikalisch-künstlerische Konzepte sowie die Verbindung von Musik- mit Medienpraxis, das Fundament, auf dem die nachfolgenden Künstlergenerationen aufbauen konnten.
Aktuelle Forschungsergebnisse dazu werden auch anlässlich der Konferenz ANIMUSIC 2025 im Sommer in Portugal vorgestellt.
Literatur
- Brilmayer, Benedikt: „Das Trautonium und Oskar Sala“, in: Musik in Bayern. Jahrbuch der Gesellschaft für Musikgeschichte in Bayern e.V., Bd. 79, München 2015. doi.org/10.15463/gfbm-mib-2013-78
- ders.: Das Trautonium. Prozesse des Technologietransfers im Musikinstrumentenbau, Augsburg 2017.
- ders.: „Zu den frühen Instrumentenkonstruktionen Jörg Magers. Spurensuche und Versuch einer Konkretisierung“, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung 2018/2019, hrsg. von Simone Hohmaier, Mainz 2023, S. 191 - 240.
- Donhauser, Peter: Elektrische Klangmaschinen. Die Pionierzeit in Deutschland und Österreich, Wien u.a. 2007.
- Oskar-Sala-Fonds am Deutschen Museum: https://www.oskar-sala.de/oskar-sala-fonds/oskar-sala/biografie/1929-1933/index.html
- Weidenaar, Reynold: Magic music from the telharmonium, Metuchen N.J. & London 1995.
- Wicke, Peter: Art. Musikindustrie, Geschichte, Anfänge in: „Musik in Geschichte und Gegenwart²“, Sachteil 6, hrsg. von Ludwig Finscher, Kassel u.a. 1997, Sp. 1343 - 1362.