Ein fürstliches Institut für musikwissenschaftliche Forschung

Von Falk Hartwig

Die junge deutsche Musikwissenschaft

Als am 21. Juni 1917 das Fürstliche Institut für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg gegründet wurde, lag es noch nicht lange zurück, dass sich die deutsche Musikforschung als wissenschaftliche Disziplin etablieren und institutionell verankern konnte. Im Januar 1914 konstatierte Max Seiffert vor der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin:

„Die deutsche Musikwissenschaft endlich darf mit allem Fug und Recht von einer Zeit der Blüte sprechen. Anfangs ein nur eben geduldeter Gast, hat sie heute neben den übrigen Universitäts-Disziplinen gleichberechtigt Sitz und Stimme.” (Seiffert, Ein Archiv für deutsche Musikgeschichte, Berlin 1914, S. 4–5)

Max Seiffert (1868–1948). SIMPK, Bildarchiv, Re 8, 3

Nachdem musikhistorisches Forschen noch im 19. Jahrhundert eine Angelegenheit einzelner Idealisten und nicht in Fakultäten organisiert war, konnte die Musikwissenschaft in der ersten Dekade des 20. Jahrhundert auf eine wachsende Zahl an Professuren, aber auch auf außeruniversitäre Institutionen sowie internationale Vernetzungen verweisen.

Für die ersten Versuche der Bündelung forschenden musikhistorischen Interesses standen die 1885 von Philipp Spitta, Friedrich Chrysander und Guido Adler initiierte Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft, 1892 die Berufung der ersten Kommission für die Herausgabe der Denkmäler Deutscher Tonkunst, ab 1895 die Jahrbücher der Musikbibliothek Peters und 1899 die von Oskar Fleischer begründete Internationale Musikgesellschaft.

Die Internationale Musikgesellschaft konnte als großer Erfolg und Hoffnungsträger des noch jungen Faches Musikwissenschaft gelten. Bis zu ihrem Ende infolge des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zählte sie weit über 1000 Mitglieder in Europa und Übersee. Die Gesellschaft hielt jährlich Kongresse ab und gab drei Periodika heraus.

Bruch und Aufbruch ins Idyll

Das Zerbrechen der Internationalen Musikgesellschaft wurde als eine schmerzliche Zäsur empfunden. War sie vielleicht nur ein „träumerischer Wahn“, fragte Max Seiffert 1919, konnte man denn weiter arbeiten mit Paris oder London, von wo „der Schimpfruf ,Hunnen‘ in unser Ohr gellte“? (Archiv für Musikwissenschaft, 2. Jg. 1919/ 20, S. 2, SIMPK C 30/ 4, 2) Der allgemeinen Doktrin folgend, nach der Deutschland in einen von außen aufgezwungenen Krieg geraten war, sollte das Bückeburger Institut nunmehr primär der nationalen Musikforschung verpflichtet sein:

„Wir dürfen offen das Zugeständnis machen, daß zeitweilig des Guten zuviel getan worden ist in der bevorzugten Bemühung um die Aufhellung und Durchdringung der Musikgeschichte bei unseren jetzigen Feinden.“ (Archiv für Musikwissenschaft, 1. Jg. 1918/ 19, S. 2, SIMPK C 30/ 4, 1)

Die Gründung des Bückeburger Instituts war sicher nicht als direkte Antwort auf das Vakuum zu verstehen, welches durch das Zerbrechen der Internationalen Musikgesellschaft entstand. Gleichwohl musste die Institutsgründung sehr attraktiv gewirkt haben: Nahezu umstandslos verwirklicht durch einen kunstsinnigen und vermögenden Fürsten, gelegen in einer kleinen Residenzstadt, weitab von der Wirklichkeit des Kriegs- und Nachkriegsgeschehens.

Netzwerkkarte: Bückeburg als Knotenpunkt der Musikwissenschaft

Bückeburg als Knotenpunkt der Musikwissenschaft

Konnte nicht anstelle der Internationalen Musikgesellschaft nun das Bückeburger Institut einen Knotenpunkt für die Vernetzung der Lehrstühle und Forschenden bilden und die ausstehenden Verpflichtungen der deutschen Musikwissenschaft koordinieren?

Ein Institut aus Traditionspflege? Bückeburgs musikalische Geschichte

„Unser Institut ist kein aufgepfropftes, fremdes Reis, sondern in Wirklichkeit die Wiederbelebung einer alten Kunsttradition Bückeburgs, zu der die Regierungszeit des Grafen Ernst den ersten Grund legte.“ (Max Seiffert, Rede zum Stiftungstag 1920, SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/4,16, S. 4)

Eine musikwissenschaftliche Institutsgründung abseits der urbanen Zentren mit ihren Universitäten und zahlreichen Musikstätten? Den Protagonisten des Instituts war sehr daran gelegen, der Auffassung vorzubeugen, die Gründung in Bückeburg sei allein eine glückliche oder zufällige Fügung.

Tatsächlich konnte Bückeburg mit seinem Fürstenhof auf eine lange musikalische Tradition zurückblicken, die der anderer Residenzen nicht nachstand. Unter den regierenden Schaumburg-Lippischen Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts wurde es mit repräsentativen Bauten und einem höfischen wie kirchlichen Musikleben ausgestattet. Dazu gehörte die Anlage einer Sammlung italienischer Opern und das Engagement italienischer Orchestermusiker und Kapellmeister. Mit Michael Praetorius etwa oder später dem komponierenden König Friedrich II. von Preußen stand der Hof in musikalischem Austausch. Der junge Heinrich Schütz war zwei Jahre in Bückeburger Diensten. Mit Graf Albrecht Wolfgang und dessen Sohn Wilhelm hatte der Hof zwei musizierende und komponierende Landesherren vorzuweisen.

Im Jahr 1750 kam mit Johann Christoph Friedrich Bach der drittälteste der komponierenden Söhne Johann Sebastian Bachs nach Bückeburg. Mit seiner Einsetzung als Hofkapellmeister begann 1756 in Bückeburg die Ablösung der italienischen Dominanz. Als Johann Gottfried Herder um 1770 in Bückeburg Hof- und Regierungsrat wurde, begann eine rege musikalische und geistige Zusammenarbeit mit Bach. Georg Schünemann sah 1919 darin die „ersten Zeichen der großen Geistesrevolution, die später Kunst und Literatur umgestaltete“ (Archiv für Musikwissenschaft, 2. Jg. 1919/20, S. 2, SIMPK C 30/4, 2). Auch Iwan Müller, Klarinettist, Komponist und bedeutender Instrumentenbauer, der zuletzt in Bückeburg lebte, war Teil der musikalischen Tradition der Residenzstadt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierten die Hofkapellmeister Jerome Gulomy und Richard Sahla in Bückeburg regelmäßige Sinfoniekonzerte.

Von der Orchesterhochschule zum musikwissenschaftlichen Institut

Im Frühjahr 1913 hatte der Verband Deutscher Chor- und Orchesterleiter Bückeburg als Ort für die Errichtung einer Musterschule für Orchester gewählt. Fürst Adolf II. zu Schaumburg-Lippe zögerte nicht, seine Zustimmung zu diesen Plänen zu geben. Der Vertrag zur Errichtung der Orchesterhochschule wurde am 1. Oktober 1913 durch den schaumburg-lippischen Hofmarschall August Graf von Reischach und den Verbandsvorsitzenden Ferdinand Meister unterzeichnet (SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/1/1,8). Adolf II. ließ darauf unverzüglich den Bau eines Gebäudes für die Hochschule in Angriff nehmen. Carl August Rau, promovierter Philosoph und Chorleiter in Bad Wildungen, wurde von Ferdinand Meister als Vermittler zwischen dem Verband und dem Hofmarschallamt bestimmt.

Der geplante Eröffnungstermin der Orchesterhochschule am 1. Oktober 1914 sollte jedoch verstreichen, ohne dass die Schule ihren Betrieb aufnahm. Der designierte Direktor der Schule, der Bückeburger Hofkapellmeister Richard Sahla, schreckte vor den engen Dienstvorschriften und den geplanten Lehrinhalten zurück. Zudem hatten sich starke Differenzen sowohl zwischen Richard Sahla und Ferdinand Meister als auch zwischen dem Hofmarschallamt und Sahla aufgebaut. So sah sich Hofmarschall Graf von Reischach schließlich gezwungen, die Zusammenarbeit mit Richard Sahla und dem Verband Deutscher Chor- und Orchesterleiter zu beenden.

Carl August Rau konnte dagegen in Bückeburg Fuß fassen: Im Sommer 1915 wurde er Berater des Hofmarschallamtes in Sachen der Orchesterhochschule und im Jahr darauf sogar zum Vorstand der Musikabteilung am Hofmarschallamt befördert.

Foto von Carl August Rau (1890–1921)

Carl August Rau (1890–1921)

In seiner Denkschrift Die Orchesterhochschule in Bückeburg vom Oktober 1915 zweifelte Rau stark an einer hinreichenden Begründbarkeit der Orchesterhochschule. Dagegen erwog er als Alternative die Einrichtung eines musikwissenschaftlichen Instituts (SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/1/1,8). Mit uneingeschränkter Rückendeckung des Fürsten planten Rau und Graf Reischach zunächst eine Fürstliche Musikanstalt, die musikpraktische und musikwissenschaftliche Ausbildung vereinen sollte. Rau widmete sich aktiv dem Aufbau einer Musikbibliothek und richtete eine Zentralstelle für musikwissenschaftliche Universitätsschriften ein.

Detail aus einer Zeichnung des Fürstlichen Hofbauamts für das die Bückeburger Musik- Schule

Detail aus einer Zeichnung des Fürstlichen Hofbauamts für das die Bückeburger Musik-
Schule. Die Inschrift kam nicht zur Ausführung. SIMPK, Bildarchiv, Or 2 B 1

Zum Ende des Jahres 1916 orientierte sich die Planung schließlich auf ein Institut für musikwissenschaftliche Forschung, die innerhalb der ersten Hälfte des Jahres 1917 fix wurde. Am 17. April 1917 schrieb Rau an Reischach, dass „das Institut für musikwissenschaftliche Forschung, wie ich hoffe, noch diesen Winter eröffnet werden soll“ (SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/6/2,9).

Gründung des Instituts zu Bückeburg

Das Fürstliche Institut für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg wurde am 21. Juni 1917 als Stiftung des Fürsten Adolf II. zu Schaumburg-Lippe ins Leben gerufen und begann am 1. Oktober 1917 seine Arbeit. Erster Direktor des Instituts wurde Carl August Rau. In der Gestaltung und Organisation des Instituts wurde Rau durch Persönlichkeiten wie Adolf Sandberger, Hermann Kretzschmar, Hermann Abert, Max Seiffert, Wilhelm Altmann, Theodor Kroyer, Ludwig Schiedermair, Max Schneider, Rudolf Schwartz und Carl Stumpf unterstützt. Insbesondere Max Seiffert erkannte in dem Bückeburger Vorhaben die ideale Gelegenheit für einen Neustart der deutschen Musikwissenschaft. Wie er in seiner Rede vom 27. Januar 1914 vor der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin skizzierte, sollte damit in der Hauptsache ein Archiv für deutsche Musikgeschichte geschaffen werden.

Organigramm des Instituts

Die Organisationsstruktur des Instituts

Bereits auf der ersten Mitgliederliste (SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/5,7) stehen als ordentliche Mitglieder die prominentesten Fachvertreter der deutschen Musikwissenschaft. Obwohl primär national orientiert, verschloss sich das Institut nicht rigoros dem Ausland und konnte schon bald auch auf außerordentliche Mitglieder unter anderem aus der Schweiz, Holland, Dänemark, Finnland und Spanien verweisen.

Als wesentliche Aufgaben des Instituts wurden eine möglichst umfassende Sammlung, Dokumentation und Erforschung der Quellen zur deutschen Musikgeschichte, eine laufende Erfassung und Auswertung musikwissenschaftlicher Arbeiten aus Deutschland, die Erstellung von Leitfäden für die musikwissenschaftliche Ausbildung an Universitäten, die Beratung des Landes Schaumburg-Lippe in musikbezogenen Fragen und nicht zuletzt eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis der Musik formuliert.

Archiv deutscher Musikgeschichte

Max Seifferts Worte von einer „Blüte“ der deutschen Musikwissenschaft um 1914 waren nur der Prolog seiner Berliner Akademierede. In ihrem Kern benannte er eine wesentliche Lücke der deutschen Musikforschung, die das Bückeburger Institut später schließen sollte: das Fehlen einer systematischen Erschließung und zentralen Verzeichnung der Quellen zur deutschen Musikgeschichte. Konkret forderte Seiffert die Schaffung eines Archives für deutsche Musikgeschichte. Dieses Archiv solle die Ergebnisse „planmäßig betriebener ortsgeschichtlicher Forschung“ reflektieren. Ein vollständiges Bild der deutschen Musikgeschichte könne nur entstehen, wenn sämtliche Ratsarchive und Kirchenbücher durchsucht und so auch scheinbar unbedeutende regionale Entwicklungen und Ausprägungen der Musik erfasst würden. Das Archiv sollte unterteilt sein in eine Generalbibliographie von Musikalien und musikbezogener Sachliteratur, eine Abteilung aus Abschriften oder Fotokopien musikbezogener Inhalte aus Akten und Archivgut sowie je eine Abteilung für Instrumentenkunde und ikonografische Quellen zur Musik. Als in Bückeburg das Entstehen eines musikwissenschaftlichen Instituts konkret wurde, kostete es den höfischen Musikbeauftragten und designierten Institutsdirektor Carl August Rau wenig Überredungskraft, Seiffert für das Unternehmen zu gewinnen. Als Sekretär der Musikgeschichtlichen Kommission für die Herausgabe der Denkmäler Deutscher Tonkunst in einer günstigen Position, hatte Seiffert mit der Anlage des Archivs auf eigene Faust begonnen. Nun konnte er es in das Bückeburger Institut integrieren, wo es unter seiner Leitung die zentrale Abteilung werden sollte.

Ende des Jahres 1917 nahm Max Seiffert die Gelegenheit wahr, seinen in Berlin begonnenen Generalkatalog für ein Archiv deutscher Musikgeschichte nach Bückeburg zu überführen und dort die Leitung der gleichnamigen Abteilung zu übernehmen. Das gerade gegründete Fürstliche Institut für musikwissenschaftliche Forschung konnte damit auf eine beachtliche materielle Substanz und die Erfahrungen aus den ersten zwei Jahrzehnten Denkmäler Deutscher Tonkunst zurückgreifen.

Bereits 1919 konnte das Institut erste Ergebnisse groß angelegter musikhistorischer Landesforschungen präsentieren. So hatte der Meininger Kirchenmusiker Karl Theodor Paulke im Auftrag des Instituts mit der archivalischen Aufnahme von Quellen über Kantoren, Organisten und Kirchschullehrer in Sachsen-Meiningen begonnen. Der Bitterfelder Kirchenmusiker Arno Werner legte den ersten Zettelkatalog zu seinen Forschungen über Musiker, Kantoren und Musikalien in Thüringen und Mitteldeutschland an, während der Musikwissenschaftler und Komponist Theodor Wilhelm Werner Verzeichnisse der Archive und Bibliotheken der Stadt Hannover anfertigte. Mit den Quellenstudien zur Musikgeschichte deutscher Landschaften und Städte gab das Institut daneben eine Publikationsreihe zur musikhistorischen Landesforschung heraus.

Die Ergebnisse zahlreicher Forschungsreisen sollten sich jedoch nicht allein in Katalogen und Monografien niederschlagen, sondern vor allem auch in Editionen bedeutender Musikhandschriften. Im Frühjahr 1918 schlossen die Berliner Musikgeschichtliche Kommission zur Herausgabe der Denkmäler Deutscher Tonkunst unter Hermann Kretzschmar und die Kommission der Denkmäler der Tonkunst in Bayern unter Adolf Sandberger mit dem Bückeburger Institut eine Kooperationsvereinbarung. Diese sah neben der Koordination der Forschungsaktivitäten vor allem auch eine Aufteilung der finanziellen Lasten vor.

Die photographische Werkstätte

Um seine archivarischen, dokumentarischen und publizistischen Aufgaben zu erfüllen, setzte das Institut auch auf moderne Technik. Unter der Leitung des Ingenieurs und Erfinders Heinrich Jantsch entstand als eine der ersten Einrichtungen im Institutsgebäude die Photographische Werkstätte. Herzstück wurde der von Jantsch 1911 erfundene Famulus: Ein Aufsicht-Fotografiesystem zur „Reproduktion von Büchern, Schriften und Ähnlichem“.

Reproduktionskamera Famulus, System Heinrich Jantsch, gebaut von den Ica- Kamerawerken A.-G., DresdenReproduktionskamera Famulus, System Heinrich Jantsch, gebaut von den Ica-
Kamerawerken A.-G., Dresden. Abbildung aus: Heinrich Jantsch, „Ein beachtenswerter
Hilfsapparat für Forscher und Ingenieure der chemischen Großindustrie”, Zeitschrift für
angewandte Chemie 28 (1915), S. 396

Der Famulus versprach eine beispiellos ökonomische und komfortable Abwicklung umfänglicher Reproduktionsvorhaben. Mit dem Famulus war es leicht möglich, auf die Objekte zu zentrieren und die wechselnden Abstände zwischen Objektiv und Objekt zu regulieren. Die Ablichtungen hatten die Größe 18 × 24 cm und berücksichtigten die Seitenverhältnisse des Originals. Belichten konnte der Famulus entweder direkt auf Spezialpapier, auf Platten oder auch Film. Nach Angabe des Erfinders sollte die Entwicklung einer Filmrolle mit 60 Aufnahmen nur 10 bis 15 Minuten beanspruchen.

Im August 1918 berichtete Carl August Rau den ordentlichen Mitgliedern des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg über die Photographische Werkstätte:

„Die Photographie (Format 18 × 24 cm) einer Seite (weißer Text auf schwarzem Grunde) kostet bei einer Aufnahme 1,– Mk, bei mehreren Aufnahmen 75 Pfg, auf Platten (schwarzer Text auf weißem Grunde) entsprechend mehr. Sämtliche Werke, welche der Leihstelle von auswärtigen Bibliotheken zur diesbezüglichen Verfügung gestellt werden, können photographiert werden.“ (Bericht Nr. 2 an die ordentlichen Mitglieder, 10. August 1918, SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/4,12, S. 7)

In der Photographischen Werkstätte des Instituts entstanden repräsentative Tafelwerke wie Ludwig Schiedermairs W. A. Mozarts Handschrift in zeitlich geordneten Nachbildungen oder Max Schneiders Ausgabe von Sylvestro Ganassis Regola Rubertina. Vor allem aber begann mit der Werkstätte die Anlage einer umfangreichen Sammlung von Fotokopien musikgeschichtlicher Quellen, die nach der Bückeburger Zeit durch das Staatliche Institut für deutsche Musikforschung in Berlin fortgeführt wurde. Ziel der Sammlung war nicht allein eine ortsunabhängige Verfügbarkeit von Texten und Abbildungen, sondern auch eine Sicherung der Quellen für die Nachwelt.

Publikationen

Im Dezember 1917 berichtete Carl August Rau an Graf von Reischach, das Institut habe Johannes Wolf, Max Seiffert und Max Schneider für die Redaktion der geplanten Vierteljahresschrift des Instituts, das Archiv für Musikwissenschaft, gewonnen. Rau hob hervor, dass auch die Deutsche Musikgesellschaft für ihre in Planung befindliche Zeitschrift um diese Herren geworben hatte und sich mit einer Absage habe begnügen müssen. Für den Verlag des Archivs für Musikwissenschaft war man sich mit dem renommierten Haus Breitkopf & Härtel einig geworden. Die Begründung und Herausgabe dieser Fachzeitschrift muss als eine der hervorragenden Leistungen des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg gelten.

Nachdem 1914 die von Oskar Fleischer begründeten Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft kriegsbedingt eingestellt wurden, sollte schon 1918 das Archiv für Musikwissenschaft diese Lücke wieder schließen. Von der Internationalität, wie sie die Beiträge in den Sammelbänden einst reflektierten, konnte allerdings keine Rede mehr sein. Die Auswahl der Autoren und Beiträge für das Archiv für Musikwissenschaft sowie der monografischen Veröffentlichungen des Instituts entsprachen der erklärten Priorität nationaler musikgeschichtlicher Forschung.

Die Geschäftsbeziehung mit Breitkopf & Härtel war schnell wieder beendet. Schon im Jahr 1919 schloss das Institut mit der Leipziger Musikalienhandlung C. F. W. Siegel (ab 1923 Fr. Kistner & C. F. W. Siegel) einen Generalvertrag über sämtliche Veröffentlichungen.

Vermutlich konnte dieser weit gefasste Vertrag so nur zustande kommen, weil das Institut mit den Inhabern des Verlages, Karl und Richard Linnemann, freundschaftliche Unterstützer gewonnen hatte. Richard Linnemann wurde nicht nur außerordentliches Mitglied des Instituts, sondern 1921 auch der Initiator des Fördervereins Gesellschaft der Freunde des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg. Zudem half der Verlag dem Institut mit vorgestrecktem Kapital für die Herstellung der Publikationen.

Der wesentliche Teil der Publikationen des Instituts erschien in den Jahren zwischen 1919 und 1926. Neben dem Archiv für Musikwissenschaft wurden in der Reihe Veröffentlichungen des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg Monografien, Tafel- und Musikwerke herausgegeben. Die anhaltenden finanziellen Probleme zwangen das Institut zu der Entscheidung, zum Jahr 1927 zunächst alle Publikationen einzustellen. 1935 erschien als letzte Veröffentlichung des Bückeburger Instituts Kurt Westphals Arbeit Der Begriff der musikalischen Form in der Wiener Klassik.

Die Publikationen des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg

ZEITSCHRIFT
Archiv für Musikwissenschaft, acht Jahrgänge, 1918–1926
  Digitalisat

VERÖFFENTLICHUNGEN DES FÜRSTLICHEN INSTITUTS FÜR MUSIKWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG ZU BÜCKEBURG
ZWEITE REIHE: TAFELWERKE

1. Ludwig Schiedermair, W. A. Mozarts Handschrift in zeitlich geordneten Nachbildungen, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1919
  Digitalisat

2. Johannes Wolf, Musikalische Schrifttafeln für den Unterricht in der Notationskunde, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1922
  Digitalisat

3. Max Schneider (Hrsg.), Regola Rubertina de Sylvestro Ganassi dal Fontego, Leipzig: Kistner & Siegel, 1924

DRITTE REIHE: ALT-BÜCKEBURGER MUSIK

Georg Schünemann, Friedrich Bach: Ausgewählte Werke. Für den praktischen Gebrauch herausgegeben, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1920-1921

Max Seiffert, Musik am Hofe des Grafen Ernst 1601–1622. Für den praktischen Gebrauch herausgegeben, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1922

VIERTE REIHE: QUELLENSTUDIEN ZUR MUSIKGESCHICHTE DEUTSCHER LANDSCHAFTEN UND STÄDTE

1. Adolf Aber, Die Pflege der Musik unter den Wettinern und wettinischen Ernestinern: Von den Anfängen bis zur Auflösung der Weimarer Hofkapelle 1662, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1921

2. Arno Werner, Städtische und fürstliche Musikpflege in Zeitz bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, Bückeburg und Leipzig: Siegel, 1922
  Digitalisat

3. Herbert Biehle, Musikgeschichte von Bautzen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, Leipzig: Kistner & Siegel, 1924

FÜNFTE REIHE: STILKRITISCHE STUDIEN

1. Ernst Bücken, Der heroische Stil in der Oper, Leipzig: Kistner & Siegel, 1924

2. Irmgard Leux, Christian Gottlob Neefe (1748–1798), Leipzig: Kistner & Siegel, 1925

3. Ernst Flade, Der Orgelbauer Gottfried Silbermann: Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Orgelbaues im Zeitalter Bachs, Leipzig: Kistner & Siegel, 1926

4. Kurt Westphal, Der Begriff der musikalischen Form in der Wiener Klassik: Versuch einer Grundlegung der Theorie der musikalischen Formung, Leipzig: Kistner & Siegel, 1935

Die Abteilung für Landesangelegenheiten: Konzerte des Fürstlichen Instituts

Um dem wissenschaftlichen Institut auch eine unmittelbare Bedeutung für die Stadt Bückeburg und das Land Schaumburg-Lippe zukommen zu lassen, wurde auf Wunsch des Fürsten die Abteilung für Landesangelegenheiten eingerichtet:

„Sie soll die Staats-, Kirchen-, Schul- und Stadtbehörden des Fürstentumes Schaumburg-Lippe in allen musikalischen (auch theatralischen) Fragen beraten, gute Veranstaltungen ermöglichen und schlechte verhindern. Der Anfang soll im Winter 1918/19 mit 12 Konzerten und Vorstellungen gemacht werden.“ (Bericht Nr. 2 an die ordentlichen Mitglieder, 10. August 1918, SIMPK SM 63 Historisches Archiv SIM 3/4,12, S. 7)

Zwar konnte über die Jahre ein so umfangreiches Programm wie die zwölf Konzerte zwischen Oktober 1918 und März 1919 nicht durchgehalten werden. Trotzdem schaffte es das Institut, auch abseits der Stiftungstage öffentliche Konzerte in Bückeburg zu veranstalten. Geboten wurden Kammerkonzerte, Sinfoniekonzerte, Konzerte geistlicher Musik und ab 1920 auch Vortragsabende von Schülern der Fürstlichen Musikschule. Je nach Art des Konzertabends und der Besetzung fanden die Konzerte im Collegium musicum des Fürstlichen Musikgebäudes, in der Stadtkirche oder auch im Bückeburger Schloss statt.

Im Konzert zum Stiftungstag 1919 kamen ausschließlich Werke von Institutsmitgliedern zu Gehör. Das letzte Konzert des Instituts fand am 23. Juni 1934 anlässlich einer Gedenkfeier zum 150. Geburtstag von Louis Spohr statt.

Stiftungstage

Anlässlich seines Gründungsdatums hielt das Institut alljährlich am 20. und 21. Juni einen Stiftungstag ab. Bei diesen Zusammentreffen der Mitglieder in Bückeburg legte der Direktor die Jahresberichte vor, wurden der Stand laufender und neuer Vorhaben und Publikationen diskutiert, Fachvorträge gehalten und neue Mitglieder begrüßt. Hermann Abert erinnerte sich wie folgt:

„Wir haben früher sehr schöne Tage in Bückeburg erlebt. Der Fürst erwies sich damals noch als sehr gastfrei und umgänglich und mein alter Regimentskamerad von 121, Graf Reischach, wußte alle diese höfischen Veranstaltungen, bei denen übrigens das Hofzeremoniell trotz Republik und Sozialismus streng beobachtet wurde, sehr gemütlich und harmonisch zu gestalten. Es war immer eine Tagung großen Stils mit Vollversammlung, Ausschußsitzungen, Konzerten und Schlußaktus mit Textvortrag; dazwischen hinein gab es genußreiche Ausflüge in die schöne Umgebung.“ (Hermann Abert, Aus meinem Leben, 1922–1925, S. 108; Manuskript, Staatsbibliothek zu Berlin PK, N.Mus.Nachl. 145/B, 1-6)

Institutsmitglieder am Stiftungstag, Schloß Bückeburg, 21. Juni 1920

Gruppenfoto am Stiftungstag, Schloss Bückeburg, 21. Juni 1920. Sitzend von links nach rechts: N. N., Friedrich Ludwig, Adolf Sandberger, Daniël François Scheurleer, Adolf II. zu Schaumburg-Lippe, Johannes Wolf, Max Seiffert, Werner Wolffheim, Richard Sahla; stehend von links nach rechts: Hermann Matzke, N. N., August Graf von Reischach, N. N., N. N., N. N., Georg Schünemann, Carl August Rau, Hermann Müller. SIMPK, SM 63 Historisches Archiv SIM 3/3/6,1

Zum Stiftungstag 1923 organisierte das Institut eine musikwissenschaftliche Tagung in Bückeburg, verbunden mit einem Fest dänischer und holländischer Gegenwartsmusik. Als Gäste waren entsprechende Repräsentanten aus Dänemark und Holland eingeladen. Der Organisation des Festes kamen Max Seifferts langjährige Beziehungen zu Persönlichkeiten der Musik in den beiden Ländern zugute. Begrüßt werden konnten schließlich die Sängerin Ellen Overgaard und die Komponisten und Kapellmeister Jens Laursøn Emborg, Jón Leifs, Arnold Nielsen, Seeber van der Floe, Peder Gram und der Musikhistoriker Carl Godtfred Skjerne. Aufgeführt wurden unter anderem Kompositionen von Jens Laursøn Emborg, Julius Röntgen, Johan Wagenaar, Arnold Nielsen und Rued Langgaard.

Niedergang und Neuanfang

In Folge der Kriegsniederlage Deutschlands dankte Adolf II. im November 1918 als Landesfürst ab. Für das Fürstliche Institut für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg entstand nun das Problem der weiteren Finanzierung und künftigen Organisationsform. Adolf II. sah sich ab 1919 finanziellen Ansprüchen des Landes Schaumburg-Lippe und seiner Familie gegenübergestellt.

Im Juni 1919 hatten Hofmarschall Graf von Reischach und Adolf II. die Auflösung der Musikabteilung des Hofmarschallamtes vereinbart. Die vermögensverwaltende Hofkammer und Graf von Reischach sahen es als unvertretbar an, dass Adolf II. weiterhin einen Jahreszuschuss von 100.000 Mark für das Institut leistete. Um das Institut zu erhalten, stiftete Adolf II. einmalig ein Kapital von 250.000 Mark, von dessen Zinserträgen sich das Institut künftig finanzieren sollte. Das bisher genutzte Institutsgebäude sowie das Musikgebäude stellte Adolf II. weiterhin zur Verfügung.

Vor allem durch die fortschreitende Geldentwertung war der von Adolf II. überlassene Vermögensgrundstock schon bald aufgezehrt. Das Institut war nun auf Zuwendungen Dritter, zuerst der Landesregierung, angewiesen. Am 20. Juni 1921 wurde auf Initiative des Verlegers und Institutsmitgliedes Richard Linnemann in Leipzig der Förderverein Gesellschaft der Freunde des Fürstlichen Instituts für Musikwissenschaftliche Forschung gegründet. Der Verein konnte reichsweit zahlende Mitglieder sowie zahlreiche Prominente des Musiklebens in seinem Ehrenausschuss verzeichnen.

In dieser kritischen Lage starb am 2. Oktober 1921 Carl August Rau, gerade 31-jährig. Kommissarischer Direktor wurde Max Seiffert, der einen andauernden Kampf gegen den finanziellen Ruin des Instituts aufnehmen musste. Weder die Anstrengungen Seifferts noch die des Fördervereins vermochten es, den allmählichen Niedergang des Instituts aufzuhalten. Ab der Mitte der zwanziger Jahre war es nur noch sehr eingeschränkt arbeitsfähig.

Vom endgültigen Aus bedroht, wurde 1930 mit der schaumburg-lippischen Landesregierung zunächst ein noch „vorläufiger Verbleib” des Instituts in Bückeburg vereinbart. Im Juli 1934 besuchte eine Delegation des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Gauleitung Westfalen-Nord das Institut in Bückeburg. Ebenfalls anwesend waren Max Seiffert und der Direktor der Berliner Akademischen Hochschule für Musik, Fritz Stein. Diese Evaluation ergab, dass das Institut zwar in Bückeburg keine Zukunft mehr habe, gleichwohl aber in seiner Art erhalten werden sollte. Im Sinne der zentralistischen Kultur- und Wissenschaftspolitik der Nationalsozialisten sollte in Berlin ein Reichsinstitut für deutsche Musikforschung entstehen. So fiel in Berlin durch Reichsminister Bernhard Rust die Entscheidung, das Bückeburger Institut nach Berlin zu überführen. Im Oktober 1934 übertrug Adolf II. seine Befugnisse des obersten Kurators auf Bernhard Rust und erließ eine Satzungsänderung, nach der das Institut seinen Sitz nach Berlin verlegen und „durch Vereinigung mit anderen verwandten staatlichen Einrichtungen zum ‚Reichsinstitut für deutsche Musikforschung‛ erweitert” werden sollte.