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Pass auf, Herr Raabe, morgen kommen Sie in mein Büro ...
Im Rahmen seines Projekts „Nicht-klassische Aufführungen in klassischen Räumen“ sprach Thomas MacMillan mit dem Berliner Konzertveranstalter und Kulturmanager Otfried Laur, der mit seiner Arbeit über vier Jahrzehnte das kulturelle Leben der Stadt wesentlich prägte.
Lebensstationen Otfried Laurs. Fotos: privat
Otfried Laur war ein erfolgreicher Konzertveranstalter und Kulturmanager in Berlin, der von 1973 bis zu seiner Pensionierung 2014 eine zentrale Rolle in der Musik- und Theaterszene der Stadt spielte. Über seine vier Jahrzehnte überdauernde Karriere arbeitete Laur mit einer Vielzahl prominenter Künstlerinnen und Künstler, darunter Brigitte Mira und Katharina Mehrling, und brachte große Theaterproduktionen, wie Broadway-Musicals, nach Berlin. Besonders bekannt war er für seine Fähigkeit, internationale Kooperationen zu entwickeln und zu fördern, insbesondere mit Künstlerinnen und Künstlern aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Für seine Arbeit als Konzertveranstalter erhielt er den Verdienstorden des Landes Berlin. Laur ist stolz auf sein Erbe, das durch seine Fähigkeit geprägt war, politische und kulturelle Grenzen zu überwinden, was in den zahlreichen erfolgreichen Veranstaltungen, die er organisierte, zum Ausdruck kam. Sein letztes Konzert, das 2014 im Konzerthaus Berlin stattfand, markierte das Ende einer bemerkenswerten Karriere, die einen bleibenden Einfluss auf die kulturelle Landschaft Berlins hatte.
Dieses Interview wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts durchgeführt, das sich mit der Aufführung nicht-klassischer Musik in traditionell klassischen Konzertstätten befasst. Ziel des Projekts ist es, zu verstehen, warum bestimmte Genres wie Jazz, Folk und Weltmusik in Spielstätten wie der Berliner Philharmonie bevorzugt präsentiert werden, während andere Musikrichtungen seltener vertreten sind. Grundlage der Untersuchung ist der digitalisierte Konzertführer Berlin Brandenburg (1920–2012), der Einblicke in die Programmgestaltung dieser Zeit bietet. Otfried Laur, mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Konzertveranstalter, konnte dabei wichtige Perspektiven zu den Programmentscheidungen und der Entwicklung der Konzertkultur in Berlin beitragen.
TM: Wie verlief der Prozess beim Buchen einer Band?
OL: Heute ist das einfach: Man geht ins Internet, schaut nach, schreibt eine Anfrage und fertig. Damals war das nicht so. Damals musste man Briefe schreiben – wir hatten keine E-Mails oder ähnliches. Aber es hat trotzdem geklappt. Wie Sie hier im Buch sehen, haben wir ja viele Veranstaltungen gemacht.
Also, es gab mehrere Wege. Zum einen waren da Agenturen, die Tourneen organisiert haben. Sie sind an mich herangetreten und haben gesagt: „Ich habe das und das. Willst du das übernehmen?“ Zum anderen habe ich Berliner Künstler gebucht. Zum Beispiel das Palastorchester. Haben Sie davon gehört? Max Raabe und das Palastorchester? Den habe ich in einem kleinen Kabarett gehört. Die Vorstellung war noch nicht zu Ende, da bin ich zu ihm hin und habe gesagt: „Pass auf, Herr Raabe, morgen kommen Sie bitte in mein Büro. Wir machen zusammen einen Neujahrsempfang, eine Schallplatte und ein Konzert.“
Und so ging das los – Max Raabe und das Palastorchester. Das war wunderbar. Danach folgten viele Konzerte in Berlin, wie man nachlesen kann. Es waren oft Leute, die ich selbst entdeckt habe. Aber auch Freunde oder andere Kontakte spielten eine Rolle.
Darüber hinaus habe ich Künstler über Kulturinstitutionen aus anderen Ländern gebucht, etwa aus Prag, Polen oder der Sowjetunion. Zum Beispiel Karel Gott, Spejbl & Hurvinek aus dem Marionettentheater, und andere. Vielleicht haben Sie von David Oistrach gehört? Solche Verbindungen haben auch eine wichtige Rolle gespielt.
Also, es gab ganz unterschiedliche Quellen: Agenturen, persönliche Entdeckungen, Kulturinstitutionen und internationale Kontakte.
TM: Welches waren Ihre Hauptkriterien bei der Buchung?
OL: Also, einmal, was das Hauptkriterium war, dass es mir selber gefallen hat. Ich habe nichts gebucht, wo ich nicht sagen würde: „Das finde ich ja furchtbar, aber ich buche es trotzdem”. Also, ich habe alle Sachen sorgfältig danach ausgesucht, ob sie mir selber gefallen würden und wo ich selber auch hingehen würde. Ja, deshalb, das war die Entscheidung.
TM: Spielte das Genre oder der Ruf des Künstlers eine größere Rolle bei Ihren Entscheidungen?
OL: Ja und nein. Ich habe viele Künstler engagiert, die damals völlig unbekannt waren und bei mir ihr Debüt gegeben haben. Zum Beispiel Katia und Marielle Labèque – die kannte damals niemand, und ich habe sie in der Philharmonie präsentiert. Ebenfalls erinnere ich mich an Ada Hecht, eine Künstlerin, die Sie vermutlich nicht kennen. Sie trat zunächst in einem kleinen Kabarett auf und ich habe sie später in der Philharmonie mit 1.700 Zuschauern präsentiert – ein riesiger Erfolg.
Wenn junge Sängerinnen mit Chansons zu mir kamen, sagte ich oft: „Das hast du toll gesungen, aber leider kenne ich das schon von Ada Hecht.“ Sie war einzigartig in ihrer Ausdruckskraft für Chansons der 1920er Jahre.
Natürlich spielte der Ruf des Künstlers auch eine Rolle, besonders bei bekannten Künstlern wie Milva, der italienischen Sängerin, oder ähnlichen Persönlichkeiten. Dennoch war es für mich sehr wichtig, auch neue, völlig unbekannte Talente zu fördern und ihnen eine Bühne zu geben.
TM: Hatten Sie eine persönliche Vorliebe für bestimmte nicht-klassische Genres?
OL: Ja. Zum Beispiel Jazz – ich habe Chris Barber and his Jazz Band jedes Jahr bei mir präsentiert. Eine weitere persönliche Vorliebe von mir sind Chansons der 1920er Jahre, die damals geschrieben wurden, ich liebe sie. Außerdem liebe ich Ballett. Ich habe beispielsweise das Stuttgarter Ballett nach Berlin geholt, damals unter Marcia Haydée und weiteren großen Stars. Heute ist das Berliner Ballett ebenso gut, aber damals war das Stuttgarter Ballett eine Sensation.
Auch das Ballett der Hamburger Staatsoper, das Kanadische Nationalballett unter Peter Schaufuß und das Rumänische Staatsballett habe ich nach Berlin geholt. Sogar ein Tanzensemble aus Sibirien habe ich präsentiert. Peter Schaufuß wurde später Direktor des Berliner Balletts – dieses Gastspiel war ausschlaggebend dafür.
Ich habe wirklich viele Ballettveranstaltungen organisiert, auch wenn sie finanziell anspruchsvoll waren. Um diese Projekte zu finanzieren, musste ich manchmal zwei Konzerte mit Karel Gott veranstalten. Was mich besonders stolz macht, ist, dass ich mein ganzes Leben lang keinen einzigen Pfennig an Subventionen verlangt oder erhalten habe. Ich habe alles aus eigener Tasche organisiert und auf eigene Rechnung durchgeführt. Heute wäre das kaum vorstellbar – bevor jemand ein Gastspiel wie das des Stuttgarter Balletts organisiert, würde er erstmal eine Förderung von mehreren Hunderttausend Euro beantragen. Ich habe das alles selbst gestemmt.
TM: Auch in der Philharmonie gab es keine staatliche Förderung?
OL: Nein, für die Konzerte, die ich gemacht habe, gab es keine staatliche Unterstützung. Ganz im Gegenteil: Die privaten Veranstalter wurden in der Philharmonie wirklich diskriminiert – und das ist heute noch so. Zum Beispiel hat ein Freund von mir, der in einem Orchester spielt, nicht die Erlaubnis, mit seinem Wagen vorzufahren und die Instrumente auszuladen, sondern muss sie 500 Meter weit tragen. Das ist einfach absurd. Früher war es noch besser: Da kamen die Busse und durften vorfahren. Aber ansonsten hatten wir überhaupt keine staatliche Unterstützung.
Andererseits habe ich natürlich Unterstützung von der Saalverwaltung bekommen. Sobald ein Termin frei wurde, haben sie mir Bescheid gesagt: „Pass auf, Laur, dieser und jener Termin ist frei, weil der vorherige abgesagt wurde.“ Aber hier kommt das große Aber: Sie haben nur eine Stunde vor Konzertbeginn Zeit für Aufbau und Publikumseinlass. Das bedeutet, ich musste das Publikum hineinlassen und gleichzeitig aufbauen. Wenn sie also sagten: „In einer Stunde musst du anfangen“, hatte ich nur eine halbe Stunde Zeit für den Aufbau und eine halbe Stunde für den Einlass.
Ich habe dann zum Beispiel das Swing Dance Orchestra mit Andrej Hermlin angerufen, der jetzt immer noch große Konzerte gibt, und ihm gesagt: „Ich habe einen schönen Konzerttermin in der Philharmonie, Sonntagnachmittag. Das wäre doch toll, aber du hast nur eine halbe Stunde Zeit für den Aufbau.“ Kurz hat er gestutzt, aber dann hat er gesagt: „Ja, das machen wir!“
Finanziell gab es keine Unterstützung. Ich muss sagen, dass ich mich vom Personal in der Philharmonie immer gut verstanden habe. Es war auch so, dass ich ihnen manchmal ein Bier ausgegeben habe, wenn ich da war – das war kein Problem.
TM: Wie reagierte das Publikum auf die Einbindung nicht-klassischer Aufführungen in traditionell klassische Räume?
OL: Ja, ich habe ja wirklich alles gemacht. Zum Beispiel habe ich Vico Torriani in der Philharmonie auftreten lassen. Auch Insterburg & Co. habe ich dort veranstaltet. Und die Puhdys, die Rock'n'Roll-Band aus der DDR, die auch heute noch spielt, habe ich ebenfalls in der Philharmonie präsentiert. Das Publikum ist gekommen und hat sich gefreut. Ja, das sind eben die Philharmonie-Besucher.
TM: Ja, das hat mich überrascht. Ich glaube, heute wäre so etwas nicht mehr so denkbar, oder?
OL: Doch, natürlich! Das sind heute noch Konzerte in der Philharmonie, zum Beispiel Klaus Hoffmann, bei dem ich damals das Debütkonzert gemacht habe. Der tritt heute noch in der Philharmonie auf. In der Philharmonie wird der Saal auch an Veranstaltungen vermietet, die nicht klassisch sind. Ja, auch das Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
TM: Haben Sie im Laufe der Jahre Veränderungen in der Zusammensetzung des Publikums bemerkt?
OL: Solange ich tätig war, eigentlich nicht. Sicherlich, entscheidend war die Vereinigung Deutschlands. Das war ein ganz entscheidender Punkt, denn zunächst sind dann alle Westbürger bevorzugt in die DDR-Theater gegangen. Das war eine schwierige Zeit für mich als Veranstalter, weil es schwer war, die Säle voll zu bekommen. Die DDR-Bürger sind nicht in die Westveranstaltungen gekommen, weil es viel zu teuer war. Und man darf nicht vergessen, dass sie in einer Zeit lebten, in der sie sich eher neue Waschmaschinen oder Autos leisten wollten als ins Theater zu gehen. Früher kosteten die Theaterkarten in der DDR zwischen 2 Mark und maximal 12 Mark. Und plötzlich gab es die teuren Preise. Da haben viele zurückgezuckt, weil sie das nicht mitmachen wollten. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis man wieder das Publikum zurückgewonnen hat.
TM: Wie war Ihre Beziehung zum Konzertführer Berlin Brandenburg?
OL: Der Konzertführer war ja ein Werbemittel am Rande für mich. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie jetzt die ganzen Konzerte hier sehen, die müssen ja auch beworben werden. Es geht ja nicht, dass ich Konzerte veranstalte und niemand weiß, dass sie stattfinden. Deshalb gab es die Laur-Plakate und die Laur-Anzeigen.
Also, die Laur-Plakate waren fürchterlich, weil sie meistens quer waren und die Schrift knallig, sodass man, wenn man durch Berlin gefahren ist, aus dem Auto heraus sehen konnte, dass die Original Wolga-Kosaken kommen, dass Lionel Hampton kommt und so weiter. Alle U-Bahn-Stationen von September bis März konnten keine anderen Plakate aufhängen, weil alles von mir gebucht war! (lacht) Die guten Säulen im Stadtzentrum waren ebenfalls alle von mir belegt, das war alles schon vorher gebucht, bevor ich die Veranstaltungen gemacht habe. Ich hatte sie schon im Vorjahr bestellt, damit nichts dazwischenkommt.
Zu Beginn der Saison im September und auch zu Jahresbeginn gab es dann noch eine Beilage in allen Zeitungen. Diese war A4, schwarz-weiß, oder eher auch farbig, und darin wurden alle Veranstaltungen angekündigt. Es waren immer etwa acht Seiten, etwa 20 Gramm schwer. Diese Beilagen lagen in allen Zeitungen bei.
Also, der Konzertführer war eine Werbung am Rande, die ich aber auch genutzt habe.
Ottfried Laur 1985
TM: Warum, glauben Sie, erreichten Genres wie Schlager und Rock/Pop zu bestimmten Zeiten ihren Höhepunkt und gingen dann zurück?
OL: Also, Rockkonzerte gab es ja immer schon, und ich glaube, sie haben nie wirklich nachgelassen. Aber die Reklame hat sich total verändert. Man muss an den Zeitpunkt denken, als der Ticketcomputer aufkam, was ja auch zu fürchterlichen Kämpfen zwischen verschiedenen Firmen führte. Damals gab es aber noch keine Ticketcomputer, und das hat die Sache verändert.
Früher gingen die Leute zur Theaterkasse, um ihre Karten zu kaufen. Heute gibt es fast keine Theaterkassen mehr. Wenn ich jetzt Theaterkarten für den 15. Januar kaufen will, gehe ich einfach ins Internet, schaue, welche Plätze frei sind, und buche, wenn es mir gefällt. Das war früher nicht so. Damals, als der Konzertführer noch seinen Höhepunkt hatte, war das alles noch eine ganz andere Welt.
Die Tourneen wurden damals regional beworben, meist über Fernsehen und den Konzertführer. Wenn ich heute Konzertveranstalter wäre, würde ich einfach einen Vertrag am Computer abschließen, den Vertrag mit dem Künstler unterschreiben, die Philharmonie oder den Veranstaltungsort angeben und dann die Plätze buchen – und alles wäre erledigt. Früher hat der gesamte Prozess mit den Theaterkassen und Telefonanrufen 14 Tage gedauert. Der Vertrag musste ausgedruckt, bearbeitet und so weiter werden.
Was den Schlager angeht, gibt es immer noch große Schlagerkonzerte. Zum Beispiel ist Mireille Mathieu jetzt wieder total ausverkauft. Aber es gibt auch kleinere Veranstaltungen, bei denen Freunde von mir auftreten und Schlager präsentieren. Der Schlager hat jedoch insgesamt etwas abgenommen. Rock und Pop hingegen sind nach wie vor sehr präsent. Die großen Konzerte finden in der Waldbühne oder im Olympiastadion statt, wo die Karten für 170 Euro verkauft werden. Das ist wahnsinnig!
Ich habe immer darauf geachtet, dass meine Preise fair bleiben, sodass auch ein normaler Bürger sich ein Ticket leisten kann. Das war immer meine Politik.
TM: Spielte die Politik des Kalten Krieges irgendeine Rolle bei der Konzertprogrammgestaltung?
OL: Eigentlich nicht, nee. Ich kann dazu sagen, dass ich versucht habe, durch die Kultur dazu beizutragen, Grenzen zu überwinden. Also, ich gebe Ihnen später noch ein zweites Buch, in dem Sie sehen können, dass Orchester aus Ungarn, Tschechien, Polen, Russland und so weiter bei mir gespielt haben. Das war mir wichtig, dass da eine Art Freundschaft entsteht. Ich bin zum Beispiel mit vielen Russen befreundet. Ja, ich hasse Putin, aber dafür können die Leute ja nichts. Das sind reizende Leute, mit denen ich mich wirklich gut verstehe.
Das Konzertprogramm hat insofern eine Rolle gespielt, dass ich versucht habe, damit Grenzen zu überwinden. Aber nicht so, dass ich jetzt sage, dass das Publikum wegen eines tschechischen Orchesters nicht mehr kommt.
TM: Mir sind viele Auftritte von Insterburg & Co. aufgefallen. Warum, denken Sie, waren sie so beliebt?
OL: Ja, weil die Leute lachen konnten und Spaß hatten. Ingo Insterburg hat immer neue Instrumente erfunden, nicht nur die Gießkanne als Blasinstrument. Er hatte auch ein Streichinstrument, das er mit dem Fuß gespielt hat. Gleichzeitig erzählte er Witze und machte andere Sachen, die das Publikum begeisterten.
Und dann hatten auch die Künstler auf der Bühne selbst viel Spaß, und das hat man gemerkt. Ich habe es hinter der Bühne erlebt und kannte das Programm einigermaßen. Und derjenige, der auf der Bühne war, ob es Jürgen Barz oder ein Nachfolger war, versuchte immer, den Spaßfaktor zu steigern, auch wenn es mal Schwierigkeiten gab.
Mit Insterburg & Co. habe ich persönlich so viel Spaß gehabt, und sie haben mir viel gegeben. Das war wirklich klasse!
TM: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Laur!
Thomas MacMillan ist wissenschaftlicher Institutsassistent am Staatlichen Institut für Musikforschung (SIM).