Raumklang und Farbkontraste

von Mireya Salinas

Umgeben von einer Gruppe Menschen spielt Daniel Heinrich auf dem Portativ „Somewhere over the rainbow“, spontan singen einige Teilnehmer:innen mit. Daniel Heinrich ist ein blinder Kantor, das Portativ ist eine kleine, tragbare Pfeifenorgel zum Anfassen. Diese Szene ist Teil des ersten Workshops mit der Expert:innengruppe blinder und sehbehinderter Menschen am 25. April 2022 im Rahmen des Projekts „Klaviatur – Tastatur – Interface“, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen von dive in. Programm für digitale Interaktionen. Wir wollen in einem partizipativen Prozess eine inklusive digitale Tour erstellen, ein Highlight werden downloadbare Samples von fünf historischen Musikinstrumenten sein. Aber heute geht es erst einmal darum, das Museum kennenzulernen.

Also betritt die Expert:innengruppe um 14 Uhr neugierig und erwartungsvoll das Musikinstrumenten-Museum. Hier steht das Team des Museums schon bereit:  Die Museums-Guides Cornelia Peetsch und June Telletxea, der Musikwissenschaftler und Instrumentenkundler Dr. Benedikt Brilmayer und meine Wenigkeit.
Montags ist das Museum geschlossen, also hat die Gruppe das Museum für sich. Nach der musikalischen Begrüßung am historischen Walzenklavier aus Spanien geht es zur Präsentation „Vom Baum zum Klang“ – hier ist Anfassen ausdrücklich erwünscht. Der Entstehungsprozess einer Violine kann mit den Händen nachvollzogen werden, vom Baumstamm bis zur spielbaren Geige. „Ich habe auch Barockvioline gelernt!“ Zur Freude aller bringt Daniel Heinrich die Violine, die am Ende der Station für alle Besucher:innen spielbar bereit liegt, zum Klingen.

Der Ausstellungsraum des Museums ist eine weiträumige, schiffsähnliche Halle von 3.440 m² Grundrissgröße. Von der Mitte des Museums aus ist die Galerie im ersten Stockwerk für nicht sehbehinderte Menschen rundherum gut zu erkennen, eine offene Wendeltreppe verbindet das Café im Untergeschoss mit den anderen beiden Ebenen des Hauses. Und wie klingt dieser Raum, wenn alles still ist? „Groß, es klingt nach einer luftigen Halle“ befinden die Expert:innen. „Erstaunlich wenig Nachhall“, das mag am Teppich und der spezifischen baulichen Beschaffenheit liegen. Nachdem Benedikt Brilmayer die Geschichte der Sammlung vorgestellt hat, geht es weiter durchs Museum. Es erklingt der Nachbau eines Cembalos von Michael Mietke, gefolgt vom Portativ: Hier wird das Funktionsprinzip einer Orgel für alle tastbar und verständlich. Dann geht es die Treppe hoch ins Obergeschoss. June Telletxea singt zu Ūd, einer arabischen Kurzhalslaute, und zur Gitarre und erklärt beide Instrumente.

Bei der Feedbackrunde im MiM-Kids Lab kommen auch kritische Töne auf. Baulich ist das Museum für blinde und sehbehinderte Menschen kein Traum: Freistehende Musikinstrumente auf beigem Teppichboden sind für Sehbehinderte schwer zu erkennen, genau wie die Winkel und Stufen, die auch Sehende immer wieder herausfordern. Kein Wunder, schließlich hat Edgar Wisniewski das Musikinstrumenten-Museum nach ersten Skizzen von Hans Scharoun erbaut, dem Meister der organischen Architektur. Mehr Taststationen werden gewünscht und ein barrierefreierer digitaler Museumsguide. Genau diese Punkte sind Bestandteil des Projekts.

Es wird deutlich: Mit „Klaviatur – Tastatur – Interface“ werden wir einige Punkte modellhaft angehen können als einen ersten Schritt zu einem inklusiveren Museum. Ohne die offene und freundliche Zusammenarbeit mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. und unsere Expert:innengruppe wäre das nicht möglich. Vor allem inspiriert diese Begegnung dazu, das Museum neu wahrzunehmen, und macht große Lust auf neue Herangehensweisen, Ideen und Lösungsansätze. Also krempeln wir die Ärmel hoch, los geht’s! Wir freuen uns auf weitere, höchst interessante Begegnungsrunden.

Weitere Informationen

Mireya Salinas leitet das Projekt „Klaviatur – Tastatur – Interface“ und ist für die Vermittlungsarbeit am Staatlichen Institut für Musikforschung zuständig.

Dank an den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. für die Unterstützung!
www.dbsv.org