Jahrestagung 2022 der
Gesellschaft für Musikforschung

Vom 28.9. bis 1.10. fand in Berlin die Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung zum Thema »Nach der Norm. Musikwissenschaft im 21. Jahrhundert« statt. Alle musikwissenschaftlichen Institute Berlins und Potsdams waren aktiv beteiligt, so auch das Staatliche Institut für Musikforschung. Neben zahlreichen Vorträgen und Postern wurden zwei Hauptsymposien (»Perspektiven der Musik(wissenschafts)vermittlung« und »Building Reservoirs. Zur Bedeutung von Archiven, Sammlungen und Bibliotheken in der Musikwissenschaft«) sowie das abschließende Wandelkonzert »Kosmos Beethovens Diabelli-Variationen« vom SIM mitgestaltet. Die ganze Bandbreite der Arbeit des SIM, von sammeln, vermitteln, erforschen und zu Gehör bringen, erfuhr große Resonanz in der Fachcommunity und beim Museumspublikum.

Auszug aus dem Tagungsprogramm:

Hauptsymposium I: Building Reservoirs – Sammeln und Archivieren zwischen Vergangenheit und Zukunft

Zu unserem Musikleben gehört genuin der kreative, reflektierende und bewahrende Umgang mit der musikalischen wie überhaupt der kulturellen Vergangenheit. Der in einer eigenen UNESCO-Resolution adressierte Begriff „Cultural Heritage“ benennt die historische Dimension einer Musikkultur, die das breite Spektrum seiner Traditionen sowohl ästhetisch als auch diskursiv mit- und weiterdenkt. Grundlage dafür ist die Sammlung, Überlieferung, Bewahrung und Erforschung der auf uns gekommenen Quellen vergangener wie gegenwärtiger Kulturen in Museen, Archiven, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Sie bilden gemeinsam das Reservoire unserer Kultur und sind die Spuren unserer musikalischen Vergangenheit, für die Gedächtnisinstitutionen Verantwortung tragen und stetig Konzepte der aktuellen Darstellung entwickeln. Innovationen des Digitalen und in der Vermittlung, virtuelle Präsenz, Vernetzung und Mehrung von Information und Wissen haben in dieser Verantwortung ihre Basis.
Ästhetische wie diskursive Präsenz speist sich aus diesen Reservoires. Sammlungen sind vielfach der Ausgangspunkt, von dem aus das Verhältnis von Repertoires, Normen, Kanonisierungen und aktuellen ästhetischen wie diskursiven Interessen und Fragen zueinander verhandelt wird, an dem Deutungen entstehen und Deutungen widersprochen wird, Identifikationsangebote gemacht und hinterfragt werden. Hier entstehen die Spuren späterer Überlieferung und es zeigt sich überdies die kulturstiftende Funktion des Reservoirs. An beiden Dimensionen schulen Gedächtnisinstitutionen ihre Bewahrungsstrukturen und eröffnen ganz grundlegende Angebote der kulturellen Identifikation. Das macht das Sammeln gerade in Zeiten wie diesen so wichtig, politisch unverzichtbar und so diskussionswürdig.

Kosmos Beethovens Diabelli Variationen

Kosmos Beethovens Diabelli Variationen

Ein experimentelles Wandelkonzert in Kooperation mit der Universität Potsdam, 1. Oktober 2022, Musikinstrumenten-Museum, 14 Uhr und 17 Uhr.

Mitwirkende:
Björn Lehmann (Klavier), Li-Chun Su (Cembalo, Hammerflügel) und Studierende der Universität Potsdam, Leitung: Prof. Dr. Christian Thorau und Prof. Dr. Conny Restle.

Hauptsymposium III: Perspektiven der Musik(wissenschafts)vermittlung

Für Berlins vielfältige musikwissenschaftliche Landschaft zwischen Universitäten, Musikhochschulen, Forschungsinstituten, Konzertsälen, Opernhäusern und Museen gewinnen Fragen der Wissenschaftsvermittlung stetig an Relevanz. Wissenschaftskommunikation bildet eine zentrale Kompetenz für viele musikwissenschaftliche Arbeitsfelder außerhalb der Universitäten. Sie ist aber auch eine Basisaufgabe innerhalb der Hochschullehre, in der Studieneingangsphase und in Musik- und Lehramtsstudiengängen. Der Kommunikationsauftrag verbindet die Teildisziplinen von der Historischen Musikwissenschaft bis zur Popmusikforschung. In vielen Anwendungsfeldern besteht heute der Anspruch, die Vermittlung von musikwissenschaftlichem Wissen bereits in ihrem Ansatz transkulturell auszurichten. Gleichzeitig ist mit Online-Foren, Blog, Kurznachrichten und Videoplattformen eine neue Dynamik in die Wissendistribution gekommen, die die akademische Wissensproduktion verändert. Schließlich fordert auch die Politik mehr Wissenschaftskommunikation und meint damit nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Geistes- und Kulturwissenschaften. Der Thementag „Perspektiven der Musik(wissenschafts)vermittlung“ soll ein Forum bilden, um das Thema Wissenschaftskommunikation in den Fokus der Disziplin zu stellen und zu diskutieren: Wie, wo, in welchen Formaten, für wen und mit welchem Zweck vermittelt Musikwissenschaft „ihr“ im institutionell-disziplinären Rahmen erzeugtes Wissen nach außen? Welche Potentiale hat der zunehmende Auftrag zur Vermittlung für die Berufschancen von Absolvent*innen und die Sichtbarkeit von Musikwissenschaft? Welche Risiken birgt eine Ausrichtung von akademischer Wissensproduktion und Studienprogrammen auf ihren Kommunikationswert hin?